Der Frühling der Ungehorsamkeit

 

Auch in Österreich nehmen viele Menschen die Abschiebung ihnen vertrauter Asylsuchender nicht mehr hin

 

Die Tatsache, dass Flüchtlinge ins Ungewisse abgeschoben werden, auch wenn sie längst in die österreichische Gesellschaft integriert sind, scheint die ÖsterreicherInnen nicht aus der Gemütlichkeit zu reißen. Die Tradition des zivilen Ungehorsams gegen die Demontierer des Asylrechts, die etwa in Frankreich der Fremdenpolizei so zu schaffen macht, fehlt hierzulande. Umso größere Aufmerksamkeit verdient der spontane Versuch couragierter BürgerInnen, die überraschende Abschiebung eines Fußballtrainers zu verhindern. Auch anderswo wird die Bevölkerung in jüngster Zeit «französischer» Alexander Stoff / 16.06.2010 «Demonstrieren ja, blockieren nein», mit dieser Devise versuchte die Behörde die Wogen am Abend des 29. April in Wien zu glätten. Spontan hatten sich DemonstrantInnen am Hernalser Gürtel versammelt, um einen Polizeitransporter am Weiterfahren zu hindern. Darin befand sich der Asylwerber Cletus B., Trainer der Flüchtlingsmannschaft FC Sans Papiers, der am Nachmittag desselben Tages bei der Stürmung der Marswiese durch eine Hundertschaft der Polizei verhaftet worden war. Die AktivistInnen widersetzten sich der Vorgabe der Polizei, die von dem entschlossenen Vorgehen der DemonstrantInnen überrascht wurde.Denn diese wehrten sich durch Kettenbildung und eine Sitzblockade gegen erste Räumungsversuche durch die Polizei. So griffen die BeamtInnen im Zuge der letztlich durchgeführten Räumung zu unsportlichen Methoden: Einzelne Personen wurden herausgerissen und an der Hand oder Kapuze über den Boden geschleift, Fußtritte ausgeteilt, die AktivistInnen verbal angegriffen, und schließlich folgte ein Knüppeleinsatz. Während die DemonstrantInnen ihrer Friedfertigkeit in Sprechchören
Nachdruck verliehen wie «Wir sind friedlich, was seid ihr?», mussten sich die BeamtInnen gegenüber PassantInnen rechtfertigen. Manchen PolizistInnen schien es nach der Wahrnehmung von AugenzeugInnen richtiggehend Unbehagen zu bereiten, die Gesetze gegen friedlich auf dem Boden sitzende DemonstrantInnen durchsetzen zu müssen. Als Cletus B. letzten Endes in einen zweiten Transporter gebracht wurde, der ohne Rücksicht auf die Umstehenden lospreschte, wurde den Anwesenden klar, dass die Abschiebung nicht mehr direkt verhindert werden konnte.Von den 42 im Zuge der Räumung Verhafteten, werden nun drei Personen strafrechtliche Tatbestände vorgeworfen. Obwohl sie nur passiven Widerstand geleistet hatten und sich von der Polizei wegtragen hatten lassen, müssen sie sich nun wegen «Widerstand gegen die Staatsgewalt» und «schwerer Körperverletzung» verantworten.

Der Justizsprecher der Grünen, Albert Steinhauser erkennt darin den Ausdruck eines Paradigmenwechsels, in dem Sinne, dass nach Wunsch des Innenministeriums die Polizei bei antifaschistischen und linken Demonstrationen verstärkt auf Kriminalisierung und Repression setzt, um die statistische Überzahl rechtsextremer Straftaten auszugleichen. Auch haben die Grünen eine parlamentarische Anfrage eingebracht, um zu klären, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Deportation eingehalten wurden. Es soll dem Verdacht nachgegangen werden, ob die Fremdenpolizei die Rechte der Betroffenen ausgehöhlt hat, um die öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Situation zu erschweren und die Abschiebung durchziehen zu können. Aus der Sicht kritischer BeobachterInnen ist die Strafverfolgung der drei DemonstrantInnen als Signal an die Öffentlichkeit zu verstehen, um den gesamten Widerstand gegen Abschiebungen in eine kriminelle Ecke zu rücken.

 

Praxis des zivilen Ungehorsams

 

Das Besondere an der Aktion des zivilen Ungehorsams vom 29. April ist die Tatsache, dass keine Organisation hinter der Blockade des Gefangenentransportes stand und das Handeln allein auf der spontanen Selbstorganisation der AktivistInnen beruhte, die auf das Bekanntwerden der Abschiebung über SMS und Internet entschlossen reagierten. Andreas Görg von ENARA (European Network Against Racism Austria) führt die Motivation der DemonstrantInnen auf das Gefühl von massivem Unrecht zurück, das die Menschen zum praktischen und spontanen Handeln inspirierte. Neben Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit wird von AktivistInnen der besondere, nämlich eindeutig politische Charakter der Polizeiaktion gegen den FC Sans Papiers hervorgehoben. Denn die Stürmung der Marswiese richtete sich mit dem Verein direkt gegen ein kulturelles und soziales Projekt von MigrantInnen mit gewissem Bekanntheitsgrad, was die moralische Empörung bei den AktivistInnen noch verstärkte.
Andreas Görg hebt die politische Sensibilisierung für das Thema Rassismus und Abschiebungen hervor: «Da merkt man, dass unsere jahrelange Arbeit, unser Diskurs, doch Früchte trägt».

Michael Genner von Asyl in Not bemerkt: «Das war die erste Aktion dieser Art, zumindest seit sehr langer Zeit. In Hainburg in der Au haben die Menschen sich vor die Bäume gesetzt, damit diese nicht umgeschnitten werden. Hier haben sich Menschen schützend vor andere Menschen gestellt, was noch viel wichtiger ist, um ein Unrecht abzuwehren, das ihnen zugefügt wird.» Michael Genner unterstreicht, dass es in den Bundesländern bereits ähnliche Aktionen gegeben hat wie etwa in der Vorarlberger Gemeinde Röthis, wo sich BewohnerInnen schützend vor das Haus einer Familie stellten, die abgeschoben werden sollte und sich sogar der Bürgermeister an der Protestaktion beteiligte.
Für Herbert Langthaler von der asylkoordination können die antirassistischen Proteste in Österreich an keine republikanische Tradition wie in Frankreich anknüpfen, wo sogar hohe Amtsträger durch Patenschaften die Abschiebung von Menschen ohne Papiere verhinderten. So richtet sich die Aktion des zivilen Ungehorsams auf der Straße gegen Gesetze, die von den NGOs auf der politischen und rechtlichen Ebene bekämpft werden. Dabei könnten sich die NGOs durchaus noch mehr einbringen, so Langthaler, denn für den Fall, dass die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, stehen sie vor der Frage nach den weiteren Handlungsoptionen.

 

Ermutigende Zeichen von Empathie

 

Auch für den Obmann der Afrika Vernetzungsplattform, Alexis Nshimyimana Neuberg, ist die Aktion des zivilen Ungehorsams ein ermutigendes Zeichen, das in der African Community überwiegend mit einem Gefühl der Solidarität aufgenommen wurde und sich von den Erfahrungen mit fehlender Zivilcourage der BürgerInnen erfreulich abhebt. Gerade im Vorfeld von Wahlen und Beschlüssen von Gesetzen brauche die African Community starke Bündnispartner.
Das Bild der generellen Fremdenfeindlichkeit d e r ÖsterreicherInnen wird durch solche erfreulichen zivilgesellschaftlichen Interventionen zurechtgerückt. «Es gibt in der Bevölkerung viel mehr Empathie, als es scheint», so Herbert Langthaler. Denn dieser Eindruck entspricht auch gar nicht den Erfahrungen, die der Verein asylkoordination etwa bei den Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen mache. Sogar eine begrenzte Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Menschen, die eine gewisse Zeit hier leben, hält Langthaler unter gewissen Konstellationen für mehrheitsfähig. Von AktivistInnen wird zudem eine Verbindung der unterschiedlichen Ebenen der antirassistischen Arbeit angestrebt. Der Konzentration in der politischen Praxis auf Wien soll durch die Verknüpfung mit dem Widerstand von Gemeinden in den Bundesländern, die sich für den Verbleib «ihrer» MigrantInnen in Österreich aussprechen, entgegengewirkt werden.

 

In Lyon automatische Arbeitserlaubnis nach einem Jahr Asyl

 

Für Michael Genner gehört neben der Aufklärung der Öffentlichkeit vor allem das unmittelbare Eingreifen, wenn jemand in Gefahr ist, abgeschoben zu werden, zu den wichtigen Handlungsoptionen. Jeder Mensch mit gutem Willen könne in seinem Alltag, in der Nachbarschaft und in der Schule aufmerksam sein und darauf achten, wo jemand von der Fremdenpolizei abgeholt wird und sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen, um auf die Straße zu gehen und Abschiebungen zu verhindern. NGOs haben erfahren, dass Fluggäste, die Zeugen einer Abschiebung wurden, sich schlicht weigerten, Platz zu nehmen was jedoch gegenwärtig immer schwieriger wird, weil die EU zunehmend auf Charterabschiebungen durch die Grenzschutzagentur Frontex setzt, was einem Entzug der Kontrolle durch die Öffentlichkeit gleichkommt.
Nach den Worten des Obmanns des Vereins FC Sans Papiers, Di-Tutu Bukasa, habe die Stürmung der Marswiese durch die Polizei die Mannschaft in einen Schockzustand versetzt und die Spieler seien frustriert. Der FC Sans Papiers sei gegründet worden, um die Jugendlichen auf dem Fußballfeld ihre eigene Stärke spüren zu lassen und sie von der Straße fernzuhalten. «Aber dieser Traum ist um 80 Prozent reduziert», so Bukasa. Für die African Community ist die Polizeiaktion laut Alexis Nshimyimana Neuberg verbunden mit Angst und Schrecken, denn viele fürchten sich nun davor, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Alexis nennt die französische Stadt Lyon als positives Beispiel, wo Personen, deren Asylverfahren nach einem Jahr noch nicht abgeschlossen ist, eine Arbeitserlaubnis erhalten.

Kritisch sieht Neuberg auch den Umstand, dass die beiden Fußballer abgeschoben wurden, obwohl sie durch ihre Aktivitäten für die Mannschaft ein Bleiberecht genießen hätten sollen. Denn der FC Sans Papiers kann als erfolgreiches Modell der Integration betrachtet werden, da die Spieler gegen andere österreichische Mannschaften bei Turnieren und in der Liga antreten.
In Österreich fehlen laut Herbert Langthaler Strukturen, die vergleichbar etwa den radikalen linken Gewerkschaften in Frankreich ein Rückgrat für Menschen ohne Papiere darstellen könnten. Hinzu kommt, dass in anderen Ländern ein höheres Ausmaß an Selbstorganisation der Betroffenen besteht ein Ansatz, den in Österreich nicht zuletzt der FC Sans Papiers verfolgt. Selbstkritisch wird von AntirassistInnen angemerkt, dass der Widerstand gegen Abschiebungen letztlich nur ein unterstützender Kampf sein kann, der sich stets der Gefahr des Paternalismus bewusst sein muss. In den wenigen Fällen, bei denen eine Abschiebung wirksam verhindert werden konnte, waren es die MigrantInnen selbst, die aktiv handelten.
Die antirassistischen Proteste haben den Spielern des FC Sans Papiers zumindest den Mut gegeben, weiterzumachen und nicht ganz mit dem Sport aufzuhören, so Di-Tutu Bukasa.

 

veröffentlicht in: Augustin 277 (16.06.-29.06.2010)

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