Mit dem Feminismus ist das so: Eigentlich würde ich lieber im Wald spazieren gehen. Ich würde gern eine Schafherde züchten, ich würde gerne öfter Romane lesen. Lieber hätte ich Zeit für Müßiggang, lieber würde ich Klavier lernen oder Gebärdensprache oder endlich rausfinden, warum Joghurt-Deckel diese rauen Punkte haben und ob Ampeln schneller grün werden, wenn man öfter drückt. Und eigentlich hätte ich gerne ein Buch mit Kurzgeschichten geschrieben. Aber das spielt’s halt nicht. Denn in der Sekunde, in der bestehende Strukturen hinterfragende Worte den Mund einer Frau verlassen, sammeln sich im Internet die Menschen zusammen, wie das einst im Mittelalter gewesen sein muss (wenn man den gängigen Filmen und Monty Python glaubt), und sie zeigen auf dich, und alle fangen in fieberhafter Aufregung an zu schreien, vor ihnen, das sei eine Feministin. Und dann hast du eine Aufgabe im Leben.
Ehe ich mich versah, nahm mir der Feminismus meine Berufsbezeichnung weg. War ich auf Podiumsdiskussionen kurz zuvor noch Journalistin gewesen, war ich auf einmal Feministin. »Es diskutieren Rechtsanwalt Sepp Hubendübel, Medienimperiumsbesitzer und Schriftsteller Franz Hackenbuchner, Schauspielerin Lise Huber und Feministin Hanna Herbst.« Eine ganz klare Einordnung, unter der meine Aussagen zu hören und zu werten waren. Ein Disclaimer. Und unter diesem Disclaimer waren auch alle Aussagen und Anliegen für viele quasi zu verwerfen, weil überzogen, weil hysterisch, weil männerfeindliche Männerhasserin. Weil Feministin.
Antifeministinnen und Antifeministen begegneten mir mit stolz – und das hatten sie nie getan, bevor ich nicht die Bezeichnung »Feministin« mit mir trug –, denn Antifeminismus ist nicht einmal tauglich für die Rebellion des gemeinen Stammtischrevoluzzers. Antifeministischen Aussagen muss kein »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« nachgestellt werden, weil es für viele vollkommen selbstverständlich zu sein scheint, dass man das ja sowieso noch sagen darf. Feministinnen, gegen die muss laut und stolz angekämpft werden, gegen Feministinnen, gegen die gehört das traditionelle Familienbild verteidigt, weil Feministinnen, die wollen Bewährtes zerstören, die wollen ja Jungs zu Mädchen machen und Mädchen zu Jungs und außerdem wollen sie Jungs im Wachstumsstadium für ein Jahr an einen Stuhl fesseln, damit ihre Muskeln verkümmern und Männer später nicht stärker sind als Frauen. Feministinnen, die handeln nur aus sexueller Frustration heraus, oder weil sie lesbisch sind, jedenfalls, weil sie zu lange keinen nackten Mann gesehen haben, weil ihre Anliegen sind doch längst geklärt. Wir sind doch alle längst gleichberechtigt, Frauen dürfen wählen, sie brauchen nicht mehr die Erlaubnis ihres Ehemannes, wenn sie arbeiten möchten, nachts arbeiten dürfen sie ja jetzt auch schon seit 2002. Das mit den Führungspositionen, da wollen die doch einfach nicht hin, wegen der Verantwortung und alles, in der Ehe vergewaltigen darf man sie auch nicht mehr und auf den Hintern greifen nicht und jetzt darf man als Mann ja sowieso nichts mehr, nicht einmal flirten, weil da kommst du ehe du dich versiehst unschuldig ins Gefängnis.
Dabei ist die Vision des Feminismus keine »weibliche Zukunft«, wie unsere erste Frauenministerin Johanna Dohnal einmal gesagt hat. Es ist eine »menschliche Zukunft«. Sprich eine Zukunft, von der alle Geschlechter profitieren: Nicht nur eins. Nicht einmal nur zwei. Alle. Und die Freiheit beginnt mit der Befreiung.
In diesem Kampf um Wahlfreiheit, um Entfaltungsfreiheit, gibt es natürlich die, die sich zu recht bedroht fühlen. Schließlich rütteln wir an Privilegien. Wenn wir möchten, dass alle gleichgestellt sind, dann gibt es die, die geben, und die, die bekommen müssen. Doch die, die geben müssen, haben es geschafft, einige derer, die bekommen würden, zu überzeugen, dass auch sie bei Chancengleichheit verlieren würden. Dabei hat das Teilen von Privilegien nichts mit Benachteiligung zu tun. Aber in einer Welt, in der das zu Anstrebende beruflicher Erfolg und ein SUV sind, möchten die Wenigsten abgeben. Also werden von den Regierenden Blendgranaten in die Debatte geworfen: Die Feministinnen, die sind männerfeindlich, die Ausländer, die sind schuld, dass du weniger Mindestsicherung kassierst, die Schwulen und Lesben, die wollen jetzt nur heiraten, aber wart noch ein paar Jahre, dann darfst du auf einmal dein Pferd ehelichen. Sie spielen die Bevölkerung gegeneinander aus und lachen sich dabei ins Fäustchen. Kürzen Menschen mit Behinderung 380 Euro im Monat, kürzen bei der Mindestsicherung, bevorteilen Unternehmen, zahlen der Außenministerin 250.000 Euro für ihre Hochzeit. Oder wie Minister Blümel unlängst in einer Diskussionssendung auf den Vorwurf, Reiche bekämen von dieser Regierung mehr und Arme weniger, antwortete: »Ja, das ist der Weg, den die Regierung gewählt hat.«
Wo es einmal Visionen gab, Kämpferinnen und Kämpfer für sozialen Fortschritt und Freiheit, gibt es heute Trumps, Putins, Erdoğans und vor unserer Tür: Einen Kanzler, der in einem Interview mit der Krone sagt: »Genauso falsch wie die Hetze ist die Träumerei.«
Mit dem Fehlen fortschrittlichen Denkens derer, die an der Macht sind, wird sich die Welt verändern. Aber nicht zum Guten. Ergo: Widerstand.
Die Soziologin Frigga Haug hat einmal gesagt: »Wir sollten fragen: Widerstand gegen was, mit wem und wofür? Widerstand bedarf einer Perspektive, eines Wohin, und er bedarf mehr als eines Individuums.« Zitat Ende.
Widerstand wogegen ist klar:
In Polen wird versucht, die Zugangsmöglichkeiten zu Schwangerschaftsabbruch mehr und mehr zu beschränken. Organisationen, die nur das Wort Schwangerschaftsabbruch erwähnen oder sie gar durchführen, bekommen von der US-Regierung keine Zuschüsse mehr. In Russland wird nach einer Gesetzesänderung häusliche Gewalt weniger hart bestraft und gilt nur noch als Ordnungswidrigkeit – außer es handelt sich um eine Wiederholungstat oder es wurden dabei Knochen gebrochen. Bei uns wird Gewalt gegen Frauen so lange ignoriert, bis sie von einem Ausländer ausgeht, die Grenzen der Selbstbestimmtheit der Frauen an nationale Grenzen gebunden. Währenddessen sagen Zahlen Folgendes:
In Österreich stieg die Zahl der – meist durch ihren Partner oder Ex-Partner – ermordeten Frauen in den vergangenen Jahren an. In Deutschland versucht alle 24 Stunden ein Mann, seine Frau zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es einem.
In der Türkei, die auf dem Weg zu einem modernen, pro-europäischen Staat war, fordert der Präsident, der einmal als Reformer galt, dass alle Frauen mindestens drei Kinder, alle in Europa lebenden türkischen Frauen sogar mindestens fünf Kinder bekommen müssen. In einer Broschüre, die türkische Paare vor der Hochzeit bekommen, schreibt ein ehemaliger Mitarbeiter der staatlichen Religionsbehörde: »Eine Frau, die sich nicht für ihren Mann zurechtmacht, ihrem Mann als Herren im Hause nicht gehorsam ist, kann geschlagen werden«. Die bulgarische Regierung weigert sich, die Istanbul Konvention zu ratifizieren – ein Abkommen zur zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Brett Kavanough wurde Höchstrichter auf Lebenszeit und der US-Präsident entschuldigte sich bei ihm »im Namen der Nation« für das, was ihm vermeintlich angetan worden war. All das findet großen Zuspruch.
Genug Weltschmerz. Wieder zurück zu Frigga Haug. Wir sollten uns also fragen: »Widerstand gegen was, mit wem und wofür?«, sagt sie. Ich glaub, das können wir beantworten. Aber wie sie weiter sagt: »Widerstand bedarf einer Perspektive, eines Wohin, und er bedarf mehr als eines Individuums«.
Also: Widerstand wofür und wohin? Und wie?
Widerstand darf nicht nur Reaktion bedeuten. Zu oft reagieren wir dieser Tage einfach nur und schaffen selbst keine Gegenentwürfe. Aber es bleibt uns ja nichts anderes übrig. Denn wär die Welt ein heruntergekommenes Haus, dann würde während wir versuchen, das Dach zu reparieren, damit es nicht immer reintropft, jemand Steine durch alle Fenster werfen und während wir die Fenster ersetzen langsam ein Bulldozer anrollen.
Ich selbst hab das so gemacht: Ich hab mir ein neues Notizheft gekauft, weil ich neue Notizhefte liebe und produktiver bin, wenn ich in ein neues Heft schreibe. Und dann hab ich mir aufgeschrieben. 1.: Was ist die Welt, in der ich leben möchte. Und 2.: Was sind Baustellen, die ich behandeln möchte und kann. Wie kann ich für andere Frauen einstehen, wie kann ich für Mädchen einstehen, wie kann ich für andere Menschen einstehen. Wie kann ich denen helfen, die Hilfe benötigen und wie kann ich mir Hilfe holen, wenn ich sie selbst benötige. Um zu verändern, muss man nicht nur einen Hebel bedienen, das können und müssen ganz viele sein:
Zu einer besseren Welt gehört nicht nur die Gleichstellung von Mann und Frau. Es gehört genau so dazu, dass die historische Fehlentwicklung überwunden wird, es gebe nur zwei Geschlechter. Es gehört genauso dazu, dass nicht stets dem Individuum ein Versagen vorgeworfen wird, wo es strukturelle Probleme gibt, die sein Elend verschulden. Es gehört genau so dazu, dass die Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer zumindest nicht verschlimmert wird. Dass Vermögen gerechter verteilt wird. Dass Macht gerechter verteilt wird. Dass Menschen ihren Selbstwert nicht daraus ziehen müssen, wie erfolgreich sie beruflich sind und was sie sich deswegen kaufen können. Dass sie sich zwar eine Dachterrasse leisten können, aber keine Zeit haben, dort zu sitzen. Zu einer besseren Welt gehört, dass Lohnarbeit nicht anerkannter ist als die in die Unsichtbarkeit gedrängte Hausarbeit. Und dass sie daher auch gerecht verteilt ist. Weil es viele Mütter gibt, die trotz Kind in ihrem Beruf weiterkommen möchten und viele Väter, die ihre Kinder nicht nur die eine Stunde sehen möchten, bevor sie ins Bett gehen müssen.
Wir müssen eine Welt denken, in der Menschen Zeit haben, sich um sich selbst zu kümmern, und um die Menschen um sich herum, sich fortzubilden und selbst zu entwickeln, in den Wald zu gehen, um die nicht von Menschen und Autos zugemüllte Welt zu sehen und sich für sie und ihren Erhalt interessieren. Um einen umsichtigen Umgang mit Menschen, Tieren, der Natur und Dingen pflegen zu können. Die Entwicklung des Einzelnen ist die Voraussetzung für die Entwicklung aller.
Wir müssen also selbst aktiv sein und nicht immer nur reagieren – aber dürfen aufs Reagieren nicht vergessen, weil sonst auf einmal etwas weg ist, das lange erkämpft gewesen zu sein schien.
Also engagiert euch, geht in eine Partei, gründet selbst eine Partei. Geht im Wald spazieren, nehmt Gesangsunterricht, singt politische Lieder auf der Landstraße. Macht Menschen darauf aufmerksam, wenn sie sexistische, rassistische, homophobe Witze machen. Studiert Lehramt und seid die Lehrerinnen und Lehrer, die ihr immer gerne gehabt hättet. Bekommt Kinder und erzieht sie freier, offener, liebender, sagt ihnen, es ist egal, wer sie sind, solange sie gut zu anderen sind. Oder bekommt keine Kinder und vermittelt das Gefühl euren Nichten und Neffen oder dem Nachbarskind. Unsere Wissenschaftsministerin hat sich vor Kurzem in einem Interview über das Bildungssystem beschwert. Ihre Kritik: Gymnasien würden am Markt vorbei produzieren. Ein bisschen hat mir diese Kritik das Herz gebrochen. Menschen für einen Markt produzieren, das ist die Welt, in der wir leben. Hört auf, egoistische Menschen für ihr Verhalten zu belohnen. Lest Bücher, sprecht über Bücher. Schafft Räume, in denen konstruktiv diskutiert werden kann. Seid gut zu euch selbst und anderen. Achtet Menschen, Tiere, die Natur, und Dinge. Sprecht mit denen, die etwas nicht verstehen, das ihr verstanden habt – sofern sie es verstehen möchten. Erinnert euch stets an die Menschen, die ihr wart, bevor ihr wusstet, was ihr jetzt wisst und seid nachsichtig mit denen, die es noch nicht wissen. Zieht in Betracht, dass das, was ihr gerade denkt, vielleicht so gar nicht stimmt und hört anderen zu, die euch in euren Ansichten weiterbringen könnten – auch wenn es sich besser anfühlt, die vermeintlich absolute Wahrheit zu besitzen. Beharrt nicht auf Standpunkten, weil ihr zu stolz seid, dazuzulernen. Jede Art von Gewissheit ist trügerisch. Reproduziert nicht einfach. Menschen mit guten Intentionen reproduzieren täglich diese Welt, in die viele Menschen schlicht hineinsterben. Weil wir in diese Welt geboren wurden, weil wir uns keine andere vorstellen können. Sagt euch immer wieder: Es stimmt nicht, dass eine Einzelne oder ein Einzelner nichts bewirken kann.
Lasst alle an der Debatte teilhaben, die konstruktiv an ihr teilhaben möchten, auch wenn die Person Begrifflichkeiten nicht kennt. Wer sich mit Feminismus auseinandersetzen möchte, muss ein wenig eine neue Sprache lernen. Lasst das feministische Subjekt so frei sein in dem, was es ist, wie die Freiheit, die ihr selbst fordert: Lasst es trans sein, inter, nicht binär. Lasst es Sexarbeiterin sein und Muslima, Christin, Schülerin, oder alt und weiß und hetero und männlich. Glaubt nicht alles, das jemand sagt, der auf einer Bühne sitzt. Springt über Schatten. »Tut nicht so, als wärt ihr nicht die Gesellschaft«, hat Manuel Rubey einmal gesagt. »Bildet Banden«, hat Pippi Langstrumpf einmal gesagt. »Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.« Hat die sehr politische Astrid Lindgren einmal gesagt.
Und irgendwann, da klappt das dann auch mit der Schafherde.
Text vorgetragen auf ihrer Lesereise mit dem Buch „Feministin sagt man nicht“ im Jahr 2018.
Veröffentlicht auf Facebook am Tag der Menschenrechte, 10.12.2018:
https://www.facebook.com/hhumorlos/posts/10216257874053997
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