Laurie Penny über Diversität im Storytelling und Fanfiction
Nachdem lange Zeit nur weisse cis Männer als Helden im Mittelpunkt von Erzählungen gestanden haben, verändert sich langsam das storytelling und Geschichten werden diverser. Frauen, Schwarze Menschen und LGBTIQs beanspruchen ihren Platz in den Erzählungen, sagt die britische Aktivistin, Journalistin, Feministin und Drehbuchautorin Laurie Penny.
Erzählungen und Kultur
Geschichten werden nicht nur erzählt, um uns zu unterhalten, sondern es wird auf diese Weise auch Kultur weitergegeben. Das kann zu einer Homogenisierung von Kultur führen. So erklärt Laurie Penny anhand des Beispiels der kolonialen Beherrschung Indiens durch das British Empire, wie die Bewohner*innen der Kolonien durch die Schuldbildung mit britischer Kultur indoktriniert wurden. In anderen Kolonien geschah dies meistens durch christliche Missionierung, aber in Indien funktionierte das nicht. Missionar*innen sollten die Bewohner*innen der Kolonien durch religiöse Durchdringung und Vorschreiben des „richtigen Verhaltens“ davon abhalten, gegen die Kolonialherrschaft zu rebellieren. In Indien existierten jedoch große religiöse Probleme und Spannungen, also entschied sich die Kolonialmacht dafür, den Kindern in den Schulen Englische Literatur anstelle des Christentums beizubringen. Die Held*innen in den Geschichten waren nie Inder*innen, sondern immer weiss, Mittelklasse und englisch.
Der „westliche Kanon“ von Harold Blum aus den 1950er Jahren besagt, dass es eine Handvoll von Werken gibt, die als relevant eingestuft werden, wobei Blum sich selbst gleich als Wächter darüber eingesetzt hat, welche Bücher in diesen Kanon einfließen und welche nicht. Auf der Liste befinden sich „ein Haufen weisse Typen, Jane Austen und Ursula Le Guin“ hebt Laurie Penny hervor. Die Vorstellung eines Monomythos, also eine Anzahl von Geschichten, die als wichtig angesehen werden, gibt es auch im Fach Englische Literatur und sie hat auch die Kultur der Nerds beeinflusst. „Dickens ist wichtig, sagt man dir, aber Buffy und Star Trek sind es nicht“, so Laurie Penny.
Hero’s journey
Ein solcher Monomythos aus der Mitte des 20.Jahrhunderts ist die Hero’s journey von Joseph Campbell. Bei diesem Erzählmuster geht es um den Helden, er trifft einen Mentor, dann ereilt ihn der Ruf zum Abenteuer, zuerst widersetzt sich der Held, dann geht er auf die Reise, er trifft seinen zweiten Mentor, da ist die Prinzessin als love interest und auch die Vaterfigur. Das ist die Handlung von Star Wars, aber das Muster wiederholt sich in vielen anderen Geschichten von Lion King bis Matrix. Die Hero’s journey wurde einfach kopiert und wieder und wieder erzählt.
Es stellt sich also Langeweile ein, u.a. deshalb, weil – wie Laurie Penny sagt – der Held immer ein weisser, junger Mann ist. Frauen tauchen darin nur als Nebencharaktere auf, sie sind nie die Heldinnen. Frauen brauchen keine eigene Hero’s journey, hat Joseph Campbell einmal auf die Frage einer Studentin gesagt, denn sie sie sei im Monomythos die ganze Zeit über da, die Frau müsse nur realisieren, dass sie es sei, wo alle hinwollen, so Campbell.
Fanfiction
Fanfiction, also das Umschreiben von populären Geschichten aus Büchern, Filmen und Fernsehen hat es schon lange vor dem Boomen der Nutzung des Internet gegeben. Aber erst durch das Internet ist Fanfiction wirklich explodiert. Mit der Verbreitung des Internet hat sich die Art und Weise verändert, wie Geschichten erzählt werden – nicht mehr mit klassischem Anfang, Mittelteil und Schluss. Charakterentwicklung hat seine Bedeutung verloren, Hyperlinks werden gesetzt. Dennoch wünschen sich viele Menschen weiterhin traditionelle Geschichten mit Held*innen. Wenn Erzählungen ein Spiegel und Fenster sind, die dich und deine Welt verändern können, so zeigte die Etablierung der Website fanfiction.net im Jahr 1998, dass die Menschen sich verschiedene Held*innen und Erzählweisen wünschen. Laurie Penny selbst hat in dieser Zeit damit begonnnen, Fanfiction aus der Erzählwelt von Harry Potter und Buffy zu schreiben.
Diversity
Fanfiction wurde insbesondere von jungen Frauen geschrieben, die als Ergänzungen zum Universum von Harry Potter neue Geschichten erzählten, oft mit einer Handlung, die gefährlicher oder erotischer als das Original war. Es ging dabei etwa um eine Liebesbeziehung zwischen Harry Potter und Draco Malfoy, Harry Potter wurde für manche zu einem weiblichen Charakter oder seine Freundin Hermine Granger wurde zur Hautprotagonistin, die ihre eigenen Wege geht. Die Hero’s journey bekam also bei Harry Potter Fanfiction einen neuen Anstrich und in den Geschichten spielten nun Schwarze und weibliche Charaktere eine größere Rolle. Die Autorin JK Rowling begünstigte Fanfiction, da sie grundsätzlich damit einverstanden war, solange kein Geld damit verdient wurde.
Als nun die Fanfiction schreibenden Teenagerinnen erwachsen wurden und als junge Frauen in der Medienbranche zu arbeiten begannen, führte all dies zu einer Veränderung der Kultur. Diese Frauen verlangen jetzt mehr von unserem kollektiven storytelling. Das erkennt man zB auch daran, dass bei den neueren Star Wars-Filmen nun eine weibliche Heldin und ein Schwarzer love interest im Mittelpunkt der Erzählung stehen. Und bei der Theateraufführung von „Harry Potter and the cursed child“ wird Hermine Granger von einer Schwarzen Schauspielerin verkörpert.
Backlash
Dennoch sind diese Veränderungen in Richtung Vielfalt noch lange nicht im Mainstream angekommen. Und es gibt außerdem einen Backlash durch wütende weisse cis Männer, die an veralteten Mustern festhalten wollen und die sich mangels Vorstellungskraft nicht an die veränderten Rollenbilder gewöhnen können. „Wir haben noch keine Gleichheit erreicht. Wenn du in jeder Geschichte repräsentiert wirst und an dein Privileg gewöhnt bist, dann sieht Gleichheit wie ein Vorurteil aus,“ sagt Laurie Penny. Die Wut der weissen cis Männer entzündet sich daran, dass es in dieser kleinkarierten Weltsicht scheinbar zu viel von ihnen verlangt ist, sich mit Charakteren zu identifizieren, die nicht weiss und männlich sind. „Menschliche Geschichten sind vielfältig und wir alle tragen eine Seite dazu bei – das macht weisse Männer wütend,“ so Laurie Penny. Und deshalb reagieren sie mit viel Hass und Belästigung auf Tendenzen zur Vielfalt in den Erzählungen (Beispiele: die Kampagnisierung weisser cis Männer gegen die female Ghostbusters, die Schwarze Hermine und Rey aus Star Wars).
„Ich verstehe die Wut, jede*r, die*der jemals erfahren hat, wegen des Geschlechts oder der Hautfarbe aus einer Geschichte ausgeschlossen zu werden, hat diese Wut schon einmal gefühlt,“ kommentiert Laurie Penny. Sie versteht diese Wut, denn sie hat sie selbst oft gespürt so wie alle Menschen – Frauen, Schwarze Menschen, LGBTIQs – die die längste Zeit von den großen Erzählungen ausgeschlossen blieben und von denen erwartet wurde, sich mit weissen cis Männern zu identifizieren, also Menschen, die anders aussehen, anders sprechen und ein Leben leben, von dem sie keine Vorstellungskraft haben. Bis du langsam den Frust spürst, dass du vielleicht nie zur Held*in einer Geschichte werden wirst.
Geschichten verändern die Welt
Laut Laurie Penny werden Geschichten erzählt, um die Dunkelheit draußen zu halten, Mythen und Fabeln, die uns vor der Verzweiflung retten. Mit ihrer Hilfe wird Macht etabliert oder zerstört. So bringen wir uns gutes Verhalten bei und die Grenzen der Sehnsucht werden beschrieben. Geschichten lassen uns kämpfen und Sehnsucht haben, wenn es einfacher wäre aufzugeben. Sie sind die Zutaten für jede menschliche Gesellschaft seit der Steinzeit. Viel zu lange waren Geschichten zu bequem und haben den weissen westlichen Mann ins Zentrum gestellt und so Rassismus und Sexismus legitimiert.
Laurie Penny schließlich: „Ich hoffe, im Moment beginnt ein großes Umschreiben. Wir können nur zu dem werden, was wir uns vorstellen können. Jetzt lernen wir, dass Held*innen nicht immer weiss, cis und männlich sind, dass Leben und Liebe, Bösartigkeit und Erfolg etwas anders aussehen – abhängig davon, wer die Geschichte erzählt. Die Welt verändern ist nie einfach. Es braucht dazu Mut – das habe ich von Harry Potter gelernt.“