Eine Flüchtlingssiedlung am Stadtrand – und das «Prinzip Hoffnung»
Gemeinsames Gärtnern, Möbelerneuerung, Ernährungsberatung – diese Methoden der Gemeinwesenarbeit klingen nicht gerade sensationell innovativ. Aber sie haben sich bewährt und werden auch in der Simmeringer Flüchtlingssiedlung «Macondo» das Zusammenleben unterschiedlichster Menschen erleichtern können. Alexander Stoff über «Macondo blüht auf», ein Projekt der evangelischen Flüchtlingsarbeit.
Im vergangenen Jahr kamen 130 syrische Flüchtlinge nach Macondo. Eine gewaltige Herausforderung für die Leute aus der «Basis Zinnergasse», dem Gemeinwesenbüro des Flüchtlingsdienstes der Diakonie: Was tun, um den Neuankömmlingen das Willkommensein zu vermitteln und sie von Beginn an zu ermuntern, ihr Umfeld selbst zu gestalten? «Am Areal wohnen um die 2000 Leute aus den verschiedensten Ländern, und wir wollen, dass die sich kennen lernen und gut verstehen. Der Gemeinschaftsgarten bietet sich auch als sinnvolle und bereichernde Freizeit-Tätigkeit an», meint Carina Pachler von der «Basis Zinnergasse».
Ergänzt wird das Gärtnern durch eine Vielfalt von Workshops. Angedacht ist das gemeinsame Kochen zu Rezepten aus den unterschiedlichen Herkunftsländern, die am Ende des Projektes in einem Kochbuch gesammelt und veröffentlicht werden sollen (eine weitere bewährte Methode, um Menschen zusammenzubringen). Auch Ernährungsberatung soll im Rahmen von Workshops angeboten werden, um den Familien ein Werkzeug in die Hand zu geben, mit wenigen Mitteln eine gesunde Jause für ihre Kinder zusammenzustellen. An Sport-Workshops für Kickboxen und Capoeira ist ebenfalls gedacht. Schließlich sollen auch einige Müllprobleme auf dem Areal gelöst werden.
Bei «Macondo blüht auf» werden unterschiedliche Bedürfnisse der Bewohner_innen aufgegriffen. So organisiert die «Basis Zinnergasse» immer wieder Ausflüge, um die Flüchtlinge aus ihren engen vier Wänden herauszuholen. Der in Macondo aufgewachsene Carlos Rojas – seine Familie floh 1974 vor dem Pinochet-Regime in Chile – erklärt, dass die verschiedenen Fluchthintergründe die Menschen entsprechend verschieden prägen. Daher sei es gut, wenn Gemeinwesenarbeit helfen könne, gegenseitige Vorverurteilungen zu vermeiden und Ängste abzubauen. Dies ist gerade deshalb wichtig, weil viele Flüchtlinge traumatische Erfahrungen hinter sich haben. «Das Wichtigste bei Menschen, die mit Traumatisierungen kämpfen, ist, dass man ihnen eine Alltagsstruktur schafft, also dass sie einfach etwas zu tun haben und nicht daheim herumsitzen», so Carina Pachler. Es entstand auch bei den Bewohner_innen der Wunsch, auf dem Areal von Macondo selbst das Lebensumfeld mehr zu gestalten. Manche von den Bewohner_innen haben schon in ihrem Herkunftsland einen eigenen Garten kultiviert, und so lag es nahe, das gemeinsame Gärtnern in den Vordergrund zu rücken. Aber auch das gemeinsame Kochen kommt dem Bedürfnis vieler Bewohner_innen von Macondo entgegen, die besonders bei Festen gerne Gerichte zubereiten.
Was uns fehlt – ein Fußballplatz
Ein Gedanke hinter «Macondo blüht auf» ist das gegenseitige Kennenlernen von Menschen innerhalb und außerhalb Macondos. Während nämlich gar nicht so wenige Bewohner_innen das Areal selten verlassen, ist vielen Wiener_innen nicht bekannt, dass es Macondo überhaupt gibt. Hier hat vielleicht der Film «Macondo» von Sudabeh Mortezai zu einem Bewusstseinswandel beigetragen, meint Carina Pachler. Und auch das Projekt der «Basis Zinnergasse» zielt darauf ab, Grenzen zwischen den Menschen zu überwinden und durch gemeinsames Tun Beziehungen aufzubauen. Carlos Rojas konnte als langjähriger grüner Bezirksrat erreichen, dass in der Nähe von Macondo endlich eine Busstation eingerichtet wurde. Seit langem setzt er sich dafür ein, dass Macondo einen richtigen Fußballplatz bekommt – und eine Heimmannschaft, die die kukturelle Buntheit Macondos widerspiegelt. Sich am jetzigen steinigen Sportplatz, der seit 1976 unverändert besteht, n i c h t zu verletzen, ist eine Kunst.
Nicht zuletzt soll «Macondo blüht auf» das Selbstbewusstsein der Bewohner_innen stärken, denn Flüchtlinge bringen Wissen und Fähigkeiten mit, die in Österreich sehr wenig Anerkennung finden. «Macondo blüht auf» sei auch ein Signal der Wertschätzung all der Kompetenzen, die unter den Flüchtlingsfamilien zutage treten, so Carina Pachler. Carlos Rojas´ Bild von einer gelebten Nachbarschaft in der Flüchtlingssiedlung mit dem poetischen Namen ist das einer realisierbaren Utopie: «Er repariert Wagen des Nachbarn, der macht ihm dafür den Kühlschrank funktionierend. Da entsteht ein soziales Gefüge. Ich brauche ihn, er braucht mich – wir sind alle wichtig.»
Da immer wieder neue Leute zuziehen, müssen die Voraussetzungen für ein Gefühl des Willkommenseins immer neu geschaffen werden, sagt Carina Pachler. Auf lange Sicht sollen die Bewohner_innen von Macondo dabei unterstützt werden, ihre Angelegenheiten selbst in die Hände zu nehmen. Die «Macondianer_innen» müssen Bedingungen vorfinden, unter denen sie das in den Workshops erlernte Wissen weitergeben können. Nach maximal acht Jahren (die meisten Flüchtlinge leben wesentlich kürzere Zeit hier) müssen die Flüchtlinge Macondo wieder verlassen und an einem anderen Ort unterkommen. Durch ein Projekt wie «Macondo blüht auf» selbstsicherer gemacht, sollten die «Abgängigen» die Lust, ihr Umfeld aktiv mituzugestalten, auch in die kommende neue Lebenssituatiuon mitnehmen, hoffen die Flüchtlingsarbeiter_innen der «Basis Zinnergasse».
veröffentlicht in Augustin 392 (10.06.-23.06.2015)
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