Aufstehen gegen den Hass und für eine menschliche Gesprächskultur: Lasst uns eine Gesellschaft aufbauen, in der es keinen Platz mehr für den Hass und die Gewalt gibt. Ein Baustein dazu ist eine respektvolle und liebevolle Konversation im Netz und in der Gesellschaft.
Wir müssen reden. Hass… er ist heute ein leidiges Thema in unserer Gesellschaft. Hass… er bricht regelmäßig aus, wenn in den Internetforen und auf den diversen Social Media Plattformen bestimmte Reizthemen fallen. Die Situation von Geflüchteten und Migrant_innen zum Beispiel. Oder die Frauenemanzipation und der Feminismus. Oder die Gleichstellung von homosexuellen Menschen. Oder… die Liste lässt sich fortsetzen und manchmal sind es auch mehrere Themen zusammen. Gemeinsam ist diesen Reizthemen, dass sie eine Welle des Hasses nach sich ziehen. Eine sehr laute, aber vermutlich zahlenmäßig nicht so große Minderheit von sehr hasserfüllten Menschen lebt in diesem Kontext hemmungslos und skrupellos ihre abartigen Gewaltphantasien bis hin zu Vergewaltigungs-, Vergasungs- und sonstigen Morddrohungen aus.
Aber der mordlüsterne Mob ist nur die Spitze des Eisberges. Darunter finden wir oft zynische und menschenverachtende Kommentare über Frauen, Geflüchtete, Juden und Jüdinnen, Homosexuelle, Muslim_innen und andere „Lieblingsopfer“ der Hasskommentator_innen, die zwar nicht offen zur Gewalt aufrufen und/oder Gewalt androhen, aber dennoch in eine Richtung gehen, bei der die Menschenwürde und die Menschenrechte der Betroffenen zumindest angekratzt, wenn nicht sogar mit dem Vorschlaghammer zertrümmert werden. Menschen werden diskriminiert, sie werden wegen einer Behinderung, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechtes und ihrer sexuellen Orientierung oder auch wegen ihres Bildungsstandes oder wegen der Zugehörigkeit zu einer sozial marginalisierten Gruppe wie Obdachlose, Erwerbslose, Roma und Sinti, Bettler_innen, Punks usw. stigmatisiert und ausgegrenzt. Natascha Strobl spricht in diesem Kontext von der biologistischen Deutung von Ungleichheiten zwischen Menschen und daraus die Ableitung von Ungleichwertigkeit als Kernelement rechtsextremer Ideologien.
Mit Anne Wizorek sei hier die Wirkung von Hate Speech umschrieben: „Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und andere Formen von Diskriminierung existieren auch im Netz weiterhin – schließlich lösen sich entsprechende Machtstrukturen, die ja auch außerhalb der Bildschirme wirken, nicht einfach in Einsen und Nullen auf. Dieser Wunsch war am Anfang des Internets mal da, hat sich aber nicht erfüllt. Durch Hate Speech wird in erster Linie ein Klima geschaffen, in dem die Hemmschwellen, um Gewalt gegen bestimmte Personengruppen auszuüben, gesenkt werden. Gewalt gegen Menschen, die der jeweiligen Gruppe angehören, ist dann gesellschaftlich akzeptierter, was wiederum durch einen Mangel an Empathie noch mal manifestiert wird. Hate Speech dient also zur Entmenschlichung der betroffenen Personen.“
Wie auch immer sich die Hasskommentare konkret äußern – ob offene Gewaltdrohungen, spöttische und erniedrigende „Witze“, wüste Beschimpfungen, manipulative Lügenmärchen oder in anderer Form – gemeinsam ist ihnen jedenfalls eine notorische Wehleidigkeit der Verfasser_innen, sobald sie Kritik einstecken müssen – sei es nun eine Gegenrede in einem Forum oder sei es gar die Konfrontation der Schreiber_innen mit ihren eigenen Hasskommentaren vor einem Gericht. Man habe es doch gar nicht so gemeint. Es sei ja nicht ernst gemeint gewesen. Man sei völlig mißverstanden worden. Noch erbärmlicher wird es, wenn der Hass mit angeblichen Tippfehlern oder Account-Hacks relativiert werden soll – die AfD-Politikerin Beatrix von Storch meinte beispielsweise gar, sie sei „auf der Maus ausgerutscht“. Die Hasskommentator_innen sind nicht nur wehleidig, sondern fürchten auch nichts mehr, als dass sie für ihre Hass-Sprache zur Verantwortung gezogen werden und gar juristische Sanktionen folgen könnten. Und sie wollen sich ihren Hass nicht nehmen lassen und verteidigen ihre Ausbrüche gerne entgegen der Sachlage mit der „Meinungsfreiheit“.
Apropos Meinungsfreiheit: Der Hass ist durchaus auch als eine miese Strategie zu verstehen, mit der gewisse Menschen ihre Privilegien in der Gesellschaft und ihre Machtposition verteidigen wollen. Der Hass wird dabei als Mittel eingesetzt, um andere Menschen zum Schweigen zu bringen. Denn es ist ja das Ziel der Hasskommentator_innen, diejenigen mundtot zu machen und zu verängstigen, die sie zum Objekt ihrer Hassattacken erklären. Sie wollen ihre Opfer aus der Öffentlichkeit verdrängen und nehmen ihnen dadurch die Möglichkeit, ihre Meinung frei zu artikulieren, sie verhindern also, dass die Opfer des Hasses ihre Meinungsfreiheit wahrnehmen. Denn in diesem Klima des Hasses und der Gewalt trauen sich viele Menschen nicht mehr, laut ihre Stimme zu erheben.
Wer selten nach seiner und ihrer Meinung gefragt wird, das sind die Opfer der Hate Speech. Der Stimme der Opfer wird wenig oder kein Raum gegeben. Doch wie fühlt man sich eigentlich als ein Mensch, der mit üblem Hass überschüttet wird? Viele erzählen davon, dass sie als Folge des Hasses an Depressionen, Schlafstörungen und Ängsten leiden, der eine und die andere hatte deshalb auch schon einen psychischen Zusammenbruch. Es ist daher dringend notwendig, einen Schutzwall aufzubauen, hinter dem die Opfer von Hasskommentaren vor Belästigung, Drohungen und sonstigem Terror sicher sind, also ein Safe Space für die Opfer. Es ist unzumutbar und nicht hinzunehmen, dass die Opfer von Hate Speech aus Angst dem Internet den Rücken zukehren und sich daraus zurückziehen und/oder sich ihre Meinung in Diskussionen nicht mehr laut auszusprechen trauen, weil sie sich nicht dem Hass aussetzen wollen, mit dem man heutzutage scheinbar schon rechnen muss.
Umso wichtiger ist der Widerstand und die Rebellion gegen den Hass. Die Bedeutung von Gegenrede (Counter-speech) gegen den Hass kann gar nicht genug hervorgehoben werden. Diese kann mit vielfältigen, humorvollen und kreativen Ausdrucksmitteln stattfinden. Und umso wichtiger sind die Stimmen von mutigen und empathischen Persönlichkeiten wie Anita Sarkeesian, Anne Wizorek, Kübra Gümüşay und Jolanda Spiess, die sich jeden Tag dem Hass, dem sie selbst ausgesetzt sind, entgegenstellen und die unsere Solidarität und Unterstützung brauchen – genauso wie jeder andere, nicht so prominente Mensch, der unter dem Hass leidet und von dessen Leidensgeschichte wir vielleicht nie etwas erfahren werden. Wichtig ist, dass diese Menschen nicht auf sich allein gestellt bleiben, sondern vielfältigen Support erfahren, durch freundliche und liebevolle Botschaften und durch direkte Hilfe in akuter Not. Vernünftig sind in dieser Hinsicht zB Netzwerke von Betroffenen, die aktiv dazu beitragen, dass den Menschen, denen der Hass zu schaffen macht, schnell und unkompliziert geholfen wird.
Doch wie kann ein Safe Space für die Opfer aufgebaut und gepflegt werden? Einerseits ist alles gut, was die Hasskommentator_innen daran hindert oder es ihnen zumindest schwer und unbequem macht, ihren Hass in die Welt zu setzen. Sei dies nun die Sicherung und Dokumentation der Hasspostings für eine Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft oder sei dies eine Löschung der Hasspostings aus den Foren und Plattformen oder seien dies einfach kreative Wege der Gegenrede. Zugleich kann es auch helfen, eine neue Gesprächskultur zu stärken – eine Konversation des gegenseitigen Respektes und des liebevollen Umganges mit einander, bei der sachliche Argumente und ein freundlicher Umgangston gepflegt werden. Man kann ja unterschiedlicher Meinung über ein Thema sein, aber Kontroversen sollten immer auf respektvollem Austausch beruhen, auf gleicher Augenhöhe stattfinden und die Menschenrechte und -würde von allen berücksichtigen. Eine Debatte ist doch umso fruchtbarer für alle, je mehr die Beteiligten einander neue Horizonte und Perspektiven eröffnen und von einander lernen. Gleichzeitig kann die Stärkung und Pflege eines Raumes, in dem eine solche respektvolle und liebevolle Gesprächskultur stattfindet, dazu führen, dass der Hass zurückgedrängt wird. Man wird ja noch träumen dürfen, aber vielleicht kommt noch der Tag, an dem das gesamte Internet und unsere Gesellschaft sich zu einem Raum für eine solche Gesprächskultur entwickelt, an der alle gleichberechtigt und angstfrei teilhaben. Diese Aussicht lohnt das Engagement und es liegt in unserer Hand, für diese Gesprächskultur zu kämpfen.
unveröffentlicht, 19.10.2016
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