Der Leopoldau-Konflikt: Stadtplanung von oben oder von unten…
Wem gehört die Stadt?
Für das seit Jahren leerstehende Gelände des ehemaligen Gaswerks Leopoldau in Wien-Floridsdorf sollen nun in einem >kooperativen Planungsverfahren< verschiedene Szenarien einer möglichen Nutzung durchgespielt werden, wozu man viele Fachleute und drei Anrainervertreter_innen an einen Tisch bringt. Indessen fordern kritische Stimmen einen viel breiteren Diskussionsprozess, um dieses Gebiet in der Größe eines Stadtteils – einen der potenziell aufregendsten öffentlichen Räume in Wien – neu zu interpretieren.
In der Architektur des 1912 eröffneten kommunalen Gaswerks Leopoldau spiegelt sich ein Stück Geschichte unserer Stadt wider. Auf dem als Industriegebiet gewidmeten Areal finden sich Betriebshallen, Wohnhäuser, ein Wohlfahrtsgebäude mit eigenem Theatersaal und viel Grünfläche – 17 Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Zwei riesige Kugelgasbehälter drücken dem Bild des Gaswerkes seinen charakteristischen Stempel auf. Im Norden des Geländes befindet sich eine Busgarage der Wiener Linien, die WEGA nutzt das Gebiet zu Übungszwecken und Wiengas nutzt Bestandsflächen zur Energiespeicherung. Gewisse Teile des Gebietes sind kontaminiert – in einem Endbericht nächstes Jahr soll festgehalten werden, ob das Gelände gesichert ist.
Ein 20-köpfiges Kernteam aus Stadtplaner_innen, Architekt_innen, Gemeindevertreter_innen, Wirtschaft, Anrainer_innen und diversen Fachleuten soll nun im Auftrag der eigens ins Leben gerufenen Neu Leopoldau Entwicklungsgesellschaft, bestehend aus der Wien Holding und Wiengas, in einem >ergebnisoffenen, kooperativen Planungsverfahren< ein städtebauliches Konzept erarbeiten, auf dessen Grundlage eine Umwidmung der südlich und zentral gelegenen Teile des Geländes stattfinden kann. Nach der Auswahl von drei Planungsteams durch ein Juryverfahren und der Wahl von drei Repräsentant_innen der Anrainerschaft bei einer öffentlichen Versammlung im vergangenen Oktober sind bis Anfang 2013 einige Workshops vorgesehen, bei denen das Spektrum an Meinungen und Fachexpertisen zu einem gemeinsamen Konzept zusammengeführt werden soll. Das Novum bestehe darin, so Stephan Barasits von der Wien Holding, dass die Anrainer_innen nicht wie sonst üblich erst im Nachhinein über ein abgeschlossenes Bauprojekt informiert werden, sondern dass sie von Anfang an über ihre gewählten Vertreter Einfluss nehmen können. Für Thomas Spritzendorfer von der Stadtplanung ist die Partizipation im Planungsverfahren in der gegenwärtigen Form ausreichend. Da es sich letztlich um einen Planungsprozess handle, müsse man darauf achten, eine >Kaffeehausdiskussion< zu vermeiden und es sei daher nicht redlich, „Stellungnahmen von Leuten einzuholen, wenn man noch gar nichts hat, was man auf den Tisch legen und zur Diskussion stellen kann“.
Drei Repräsentanten der Bewohner_innen – ein Witz
Das CIT Collective, eine Gruppe von Menschen aus sozialen, politischen, feministischen und künstlerischen Zusammenhängen, übt hingegen scharfe Kritik an dem Planungsverfahren. Das bislang noch selten angewendete Format räume zwar partizipative Handlungsmöglichkeiten ein, sei aber in der Praxis kaum partizipativ. Während schon beim Auswahlverfahren der Kreis der teilnehmenden ArchitektInnen eingeschränkt worden sei, lege die Stadtverwaltung auch den gewöhnlichen BürgerInnen große Hürden in den Weg, ihre Ideen zur Nutzung des Gaswerkes einzubringen. So blitzte das CIT Collective bereits vor mehr als einem Jahr mit einem Nutzungskonzept beim Büro von Stadträtin Maria Vassilakou ab; die Aktivist_innen fühlten sich übergangen, als sie schließlich über Umwege von der Ausschreibung erfuhren.
Ein eigenes Konzept einreichen möchten die AktivistInnen nun nicht mehr, denn sie hinterfragen kritisch gerade den Ablauf des Verfahrens. So hält eine Aktivistin die Wahl der drei Vertreter der Anrainerschaft nicht für repräsentativ, da nur ein beschränkter Teilnehmer_innenkreis informiert gewesen sei und an der Wahl teilgenommen habe. Auch kritisiert die Gruppe, dass das Ergebnis des ganzen Verfahrens unverbindlich letztlich nur als Grundlage für eine Umwidmung dienen wird. Die Aktivist_innen befürchten, dass nach einer Umwidmung einzelne Parzellen oder das gesamte Gelände verkauft und aufgewertet werden und am Ende von einer privaten Firma entschieden wird, welche Gebäude tatsächlich dort errichtet werden. Schließlich wollen sich die Aktivist_innen nicht instrumentalisieren lassen und vermissen Transparenz. „Wenn man sehr laut schreit, dann darf man vielleicht seine Idee heimlich noch hinten reinschieben, aber alle anderen werden weiterhin ignoriert. Das ist sicher nicht die Art, wie wir intervenieren wollen.“
Vom CIT Collective wird der massive Leerstand (bei gleichzeitigem Bau-Boom) und das Fehlen von leistbaren Räumen für Kultur bemängelt. Mit der Entdeckung des Areals des ehemaligen Gaswerkes habe sich ein Fenster geöffnet, um diesem Mangel entgegenzuwirken. Andererseits werden allgemeinere Fragen aufgeworfen, nämlich wie der öffentliche Raum in Wien genutzt wird und wer darüber überhaupt mitbestimmt. Nun wissen die Aktivist_innen auch von anderen Fällen, bei denen Menschen auf der Suche nach Räumlichkeiten von der Gemeinde Wien abgespeist wurden. Die Gruppe sieht sich daher als kritische Stimme, um solche Entwicklungen aufzuarbeiten und für die Öffentlichkeit transparenter zu machen, damit die Praxis der Stadtpolitik in Zukunft anders abläuft.
Ein Laboratorium der unbeschränkten Möglichkeiten
Theresa Schütz vom Fachbereich Örtliche Raumplanung an der TU Wien sieht das Areal des Gaswerkes als Raum der unbeschränkten Möglichkeiten, den es neu zu interpretieren und auf die Bedürfnisse der Stadtbewohner_innen abzustimmen gelte. Neue, noch unbestimmte Formen des Wohnens und Arbeitens und der Kultur können hier ausprobiert werden. Dazu sei es aber unerlässlich, das Gaswerksareal als öffentlichen Raum zu definieren. Es bedürfe eines offenen Kommunikations- und Handlungsraumes, der die Segmentierung der Lebensbereiche überwindet. Statt den Bewohner_innen Wiens klar voneinander getrennte Bereiche wie Wohnen, Arbeit und Freizeit zuzuweisen, könnten an diesem Ort innovative Wege beschritten werden, wo experimentiert wird und sich vieles vermischt. Nach der Vorstellung des CIT Collectives soll ein breiter und langfristiger Prozess der >Wunschproduktion< die diversen Bedürfnisse für eine Nutzung des Gaswerksareals erforschen, bei dem – ähnlich wie bei Park Fiction in Hamburg – nicht nur ein spezialisierter Fachkreis, sondern die Bewohner_innen selbst über mögliche Nutzungen nachdenken. Unter der Devise >Was war – was ist – was könnte hier sein?< sollen Nachbarschaftsgruppen sowie Institutionen vor Ort wie Schulen, Jugendzentren und die Bezirkszeitungen als Sprachrohre zu einer breiten Diskussion, auch über Internet, eingeladen werden. Für einen solchen Prozess ist eine Öffnung und Entschleunigung notwendig.
So hält es ein Aktivist für wichtig, >mit einem langsamen Prozess anzufangen, also nicht alles nach Schema F, sondern Tore auf, klein anfangen … immer wieder Veranstaltungen, die öffentlich nach Ideen fragen, sodass es von unten wächst.< In anderen Städten wie Amsterdam und Kopenhagen gibt es modellhafte Erfahrungen, wie alte Industriegebiete von sozialpolitischen Initiativen phantasievoll und langsam wachsend genutzt wird. Wenn man weiß, dass auf dem Gelände des Gaswerks Leopoldau frühestens in fünf Jahren etwas passieren wird, drängt sich die Frage auf, warum das Areal in diesem Zeitraum nicht einfach im Rahmen der Zwischennutzung für die Öffentlichkeit freigegeben wird.
http://citcollective.wordpress.com
veröffentlicht in: Augustin 333 (28.11.-11.12.2012)
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