Im folgenden die Dokumentation eines Interviews, das Cornelia Krebs am 17.08.2018 für das Europa-Journal auf dem Radiosender Ö1 geführt hat. Es handelt sich um kein offizielles Transkript, der ORF hat aber sein Einverständnis erklärt, dass ich das Interview abtippe und veröffentliche.
Cornelia Krebs (CK):
Willkommen zum Europa-Journal Sommergespräch. Zu Gast ist Ruben Neugebauer, Mitbegründer der deutschen NGO Sea Watch. Ein Gespräch über den Alltag auf Hoher See, Migrationspolitik und Menschenrechte. Schönen guten Abend!
Ruben Neugebauer (RN):
Guten Abend!
CK:
Die Schlagzeile – das Mittelmeer wird zum Massengrab – ist keine neue. Seit dem Jahr 2000 sind zigtausende Menschen auf dem Seeweg nach Europa ums Leben gekommen. Noch viel mehr konnten gerettet werden, u.a. durch den Einsatz von NGOs wie Sea Watch, der weitaus größere Teil aber von Militär- und Handelsschiffen. Denn eine der fundamentalen Regeln auf Hoher See ist die Verpflichtung zur Rettung von Schiffbrüchigen. Doch darüber scheint es keinen common sense mehr zu geben, wenn man sich die Entwicklungen der letzten Monate anschaut. Ihnen und Ihren Kollegen wird von manch politischer Seite ja zum Vorwurf gemacht, dass Sie Menschenleben retten. Unser Bundeskanzler, Sebastian Kurz, hat zum Beispiel einmal gemeint, der „NGO-Wahnsinn“ müsse aufhören. Und auch dass Sie ein gutes Geschäft damit machen würden, weil Sie angeblich mit Schleppern zusammenarbeiten. Vielleicht wollen Sie gleich zu Beginn ein paar Worte dazu verlieren?
RN:
Also zunächst einmal ist es schlicht nicht wahr. Es wurde immer wieder behauptet, wir würden mit Schleppern zusammenarbeiten. Dafür gibt es keinerlei Beweise. Wir sind eine rein spenden-finanzierte Organisation. Die einzige größere institutionelle Förderung, die wir bekommen haben, ist im Übrigen von der Evangelischen Kirche in Deutschland, die uns großzügig unterstützt haben, weil die als gute Christen natürlich den Grundsatz, dass Menschen aus Seenot gerettet werden müssen, noch hochhalten. Man hat dann gesagt, unsere Finanzierung sei undurchsichtig. Wir sind ein gemeinnütziger Verein in Deutschland. Das bedeutet, dass wir eine Steuererklärung machen müssen wie jeder andere auch und dass das Finanzamt sehr gut darüber Bescheid weiß, wer bei uns spendet und wo unsere Finanzen herkommen. In einem sind wir uns mit dem Kanzler Kurz ja einig: der NGO-Wahnsinn muss tatsächlich beendet werden, weil es ist Wahnsinn, dass hier Privatleute das übernehmen müssen, was eigentlich eine Aufgabe des Staates ist. Es ist Wahnsinn, dass täglich nach wie vor Menschen in Seenot geraten und dass dann letztlich die NGOs der einzige Garant dafür sind, dass die im Einklang mit internationalem Recht gerettet werden. Das ist Wahnsinn und das muss beendet werden – und zwar nicht dadurch, dass man weitere Abschottungsmaßnahmen an den Start bringt. Nicht dadurch, dass man die einzigen, die sich noch an die Grundrechte halten, kriminalisiert und stigmatisiert, sondern der NGO-Wahnsinn muss dadurch beendet werden, dass die europäische Politik endlich ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommt: nämlich Lösungen zu finden, nicht zu hetzen, nicht immer weitere Abschottungsmaßnahmen zu starten, sondern tatsächlich Lösungen in Form von sicheren und legalen Wegen und einem Konzept für Migration zu finden.
CK:
Ein weiterer Vorwurf ist: die Initiativen der NGOs im Mittelmeer würden einen sogenannten Pull-Effekt verursachen, also weitere Menschen über das Meer nach Europa locken. Und wenn keine Hilfsschiffe mehr kommen, so die Überlegung, kommen auch keine Flüchtlinge mehr. Ein leitender Beamter unseres Bundeskriminalamtes hat vor wenigen Wochen hier im Europa-Journal gesagt, die Schlepper würden mit Sicherheit keine Boote aufs Meer schicken, wenn sie wüssten, dass den Menschen niemand hilft. Ist das für Sie nachvollziehbar?
RN:
Das ist für uns nicht nachvollziehbar. Gerade ein Kriminalbeamter sollte eigentlich gelernt haben, den Fakten auf den Grund zu gehen und sich mal anzuschauen, wie die Lage vor Ort wirklich aussieht. Das kann im Übrigen jeder auch von zu Hause aus machen. Man braucht lediglich eine Internetverbindung. Auf der Seite marinetraffic.com kann man nämlich sehen, wie viele Schiffe dort unterwegs sind. Und ich kann garantieren, dass zu jedem Zeitpunkt mindestens zehn, fünfzehn Handelsschiffe in Reichweite von diesen Schlauchbooten unterwegs sind, die im Prinzip diese Rettungen auch durchführen könnten. Das ist natürlich gefährlicher, wenn das ein Handelsschiff macht, weil die Crew nicht dafür trainiert ist und weil die auch nicht entsprechend ausgestattet sind. Wenn man einen solchen Pull-Faktor gänzlich ausschließen wollen würde, dann müsste man die Handelsschifffahrt auf dem Mittelmeer verbieten. Und da müsste man ein paar Wirtschaftsexperten fragen, was dann los wäre. Abgesehen davon ist dieser Vorwurf schlicht falsch, dass wir ein Pull-Faktor wären. Das kann man logisch erklären: wir sind ja eine Reaktion auf ein Problem. Diese Menschen sind dort ertrunken und deswegen sind wir dort vor Ort hingefahren – nicht die Menschen sind gekommen, weil wir dort waren. Wir hätten ja keinen Grund gehabt, dort zu sein, wenn sich diese tragischen Bootsunglücke nicht in großer Zahl ereignet hätten. Deswegen sind wir dort vor Ort.
Derselbe Vorwurf wurde übrigens auch schon der italienischen Rettungsmission Mare Nostrum gemacht. Italien hat ja nach den großen Bootsunglücken 2013 – als einziges Land im übrigen – tatsächlich Verantwortung übernommen und gesagt: wir wollen es nicht akzeptieren, dass an unserer Grenze Menschen in großer Zahl ertrinken. Und deswegen haben die damals die Marine und die Küstenwache losgeschickt, um dort Seenotrettung zu leisten. Damals war es der Rest Europas – Frontex vorne mit dabei – die gesagt haben, das könnte die Leute anlocken und die kommen ja nur, weil es die Rettung gibt. Daraufhin wurde diese Rettungsmission eingestellt – und die Mortalität ist massiv angestiegen. Es sind also sehr viel mehr Menschen bei der Überfahrt ums Leben gekommen als davor. Darauf haben wir als NGOs reagiert. Darauf haben wir gesagt: wir müssen aktiv werden, weil dort Menschen ertrinken.
Die Zahl der Überfahrten ist davon im Übrigen nicht berührt worden. Diese Zahl ist nach dem Ende von Mare Nostrum konstant hoch geblieben. Es gibt verschiedene Gründe, warum die Zahl der Überfahrten im Moment sinkt. Die Anwesenheit von weniger Rettungskräften gehört nicht dazu. Das war auch vorher schon der Fall. Gleichzeitig haben wir jetzt wieder eine Situation, bei der die Sterblichkeit massiv nach oben geht. Im Juni haben wir den tödlichsten Juni seit Beginn der Aufzeichnungen erlebt – und das obwohl deutlich weniger Menschen übers Meer gekommen sind als vorher. Es sind über 600 Menschen allein im Juni ums Leben gekommen – und zwar weil es dort keine Seenotrettung mehr gibt.
Mit derselben Argumentation könnte man im Übrigen auch die Bergwacht verbieten. Denn die meisten Menschen, die bergsteigen gehen und verunglücken, haben sich ja freiwillig selber in Gefahr gebracht. Wenn man jetzt keine Bergwacht mehr hätte, wenn die Leute keine Hoffnung auf Rettung mehr hätten, dann würden sie vielleicht gar nicht erst losmarschieren. Und was so eine Rettung kostet, was das den Sozialstaat kostet, wenn da einer vielleicht querschnittsgelähmt ist – bloß weil er sich selber freiwillig in Gefahr gebracht hat. Vielleicht sollte man es einfach lassen. Vielleicht sollte man die Bergwacht abschaffen. Vielleicht sollte man auch, wenn ein Motorradfahrer verunglückt, keinen Krankenwagen mehr losschicken, weil der hat sich ja selber entschieden, sich in Gefahr zu bringen und wenn es ihn in der Kurve hinlegt – vielleicht sollte man dann sagen, wir schicken keinen Krankenwagen mehr los. Vielleicht sollten wir da einfach ein bisschen abschrecken, damit sich keiner mehr in Gefahr bringt. Das ist völlig zynisch.
CK:
Ist das nicht vielleicht ein bisschen polemisch?
RN:
Natürlich ist das polemisch und zynisch. Aber genau das ist die Logik, die dahinter steckt, wenn man sagt: wir leisten keine Seenotrettung mehr, weil es könnten ja Leute kommen.
CK:
Ihr Schiff – die Sea Watch 3 – sitzt seit Wochen in Valletta fest, genauso wie zwei weitere Hilfsschiffe: die Lifeline und die Seefuchs. Mit welcher Begründung eigentlich?
RN:
Offiziell werden nebulöse Argumente vorgebracht wie: unsere Registrierung sei nicht richtig. Es waren zwei Tage Inspekteure von unserem niederländischen Flaggenstaat bei uns an Bord. Die waren sehr zufrieden mit dem, was sie dort vorgefunden haben. Und die niederländische Regierung hat dann auch der maltesischen Regierung deutlich gemacht, dass unser Schiff alle Voraussetzungen erfüllt. Wir haben die nötige Sicherheitsausrüstung, unsere Crew ist trainiert. Unser Schiff ist deutlich besser ausgerüstet als fast alle anderen Rettungsschiffe, die von staatlicher Seite auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Nichts desto trotz werden wir weiter ohne juristisch tragbare Begründung – also illegal – dort festgehalten.
Es geht darum, das Mittelmeer zu einer menschenrechts-freien Zone zu machen. Man will nicht, dass es Zeugen für das gibt, was an Europas Grenzen passiert. Wir haben in den vergangenen Wochen mehrfach Vorfälle gehabt, bei denen die sogenannte libysche Küstenwache – dem Handlanger für Europas Abschottungspolitik – schwere Menschenrechtsvergehen auf dem Mittelmeer begangen hat. Unsere Kollegen von Proactiva Open Arms haben zum Beispiel ein Boot vorgefunden, das die libysche Küstenwache aufgeschlitzt hatte, obwohl dort noch lebende Menschen an Bord waren. Ein Kind und eine Frau sind dabei gestorben und nur eine Frau hat es überlebt. So etwas macht die libysche Küstenwache quasi im Auftrag der Europäer – sie lassen die Leute lieber auf See sterben. Was soll denn die libysche Küstenwache für ein Interesse daran haben, Menschen dort auf See sterben zu lassen? Das ist der konkrete Auftrag, der aus Europa kommt. Da sterben Menschen und dafür will man keine Zeugen haben. Und deswegen verhindert man, dass die Zivilgesellschaft mit Schiffen da raus fährt, weil wir natürlich nicht nur Menschen retten, sondern weil wir auch dokumentieren können, was dort vorfällt und das auch vor Gericht bringen. Zum Beispiel unterstützen wir gerade 17 Überlebende von einem Bootsunglück im letzten November dabei, ein Verfahren gegen den italienischen Staat am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu führen, weil der italienische Staat dazu beigetragen hat, dass sie widerrechtlich nach Libyen zurück gebracht worden sind. Und das möchte man nicht, davon möchte man uns abhalten. Da stellt sich im Prinzip Malta gerade zur Verfügung, um sozusagen den bad cop zu machen und die Rettungsschiffe festzuhalten. Das hat nichts mit Papierkram zu tun. Das ist eine massive Kampagne, um das Mittelmeer zu einer menschenrechts-freien Zone zu machen.
CK:
Wie viele private Schiffe sind jetzt überhaupt auf dem Mittelmeer unterwegs?
RN:
Wir haben seit der vergangenen Woche kein privates Hilfsschiff mehr auf dem Mittelmeer. Die Open Arms ist noch nicht wieder zurück, weil sie von den Behörden bis nach Algeciras – quasi fast bis nach Gibraltar – geschickt worden ist. Das war der weitest entfernte Hafen, den sie auf dem Mittelmeer finden konnten. So etwas dauert dann mehrere Tage und bis sie dann wieder zurück im Einsatzgebiet sind, dauert es entsprechend Zeit. Die Aquarius ist seit gestern aus dem Rennen, weil Gibraltar dem Schiff die Flagge entzogen hat oder ab dem 20.August einfriert. Unsere Schiffe sind zusammen mit dem Schiff von Lifeline und der Seefuchs von Sea Eye auf Malta festgesetzt. Also im Moment ist tatsächlich kein privates Rettungsschiff vor Ort. Das hat dann zur Folge, dass sich zum Beispiel in den letzten Tagen dort ein Seenotfall ereignet hat, der über drei Tage unbeantwortet blieb. Über drei Tage ist immer wieder derselbe Notruf über Inmarsat verschickt worden – das ist ein Notfallsystem, über das die Küstenwache die Position von solchen Seenotfällen verschickt. Über drei Tage kam dieselbe Position immer wieder durch und das ist ganz konkret unterlassene Hilfeleistung. Dafür gehören die entsprechenden Behörden, die da nicht handeln, vor Gericht.
CK:
Sea Watch hat ja auch ein Flugzeug – die Moon Bird – die Sie selber auch fliegen. Damit werden Boote auf dem Meer ausgemacht und auch die hatte lange keine Starterlaubnis. Wie ist da der Stand der Dinge?
RN:
Auch da können wir nach wie vor nicht von Malta aus operieren. Das zeigt noch mal deutlich, dass es hier nicht um Papierkram – also Registrierungsfragen – geht. Wenn man drei unterschiedlich registrierte Rettungsschiffe plus ein völlig korrekt registriertes Schweizer Flugzeug nicht mehr operieren lässt – mit keinerlei ernsthafter Begründung – dann zeigt das deutlich, dass es hier wirklich darum geht, zu verhindern, dass es zivile Augen auf See gibt. Es passieren immer wieder Dinge, die grob gegen das Völkerrecht verstoßen. Es hat zum Beispiel gerade ein italienisches Handelsschiff Menschen zurück nach Tripoli in Libyen gebracht. Das ist ein grober Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, gegen das sogenannte Refoulement-Verbot und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Ein Schiff mit italienischer Flagge muss sich daran halten. Das wurde auch im sogenannten Hirsi (?)-Urteil vom europäischen Menschenrechtsgerichtshof festgestellt. Die haben einfach stumpf dagegen verstoßen. Das ist herausgekommen, weil ein ziviles Rettungsschiff – die Open Arms – zu diesem Zeitpunkt in der Nähe war und die Funk-Kommunikation zwischen den Libyern und diesem Handelsschiff abgehört hat. Nur dadurch ist dieser Fall überhaupt öffentlich geworden. Und das möchte man eben verhindern. Mit dem Flugzeug haben wir natürlich die Möglichkeit, ein großes Seegebiet abzudecken. Wir sind damit wesentlich schneller als mit einem Schiff. Wir können uns umschauen und kriegen viel mit. Das soll unterbunden werden.
CK:
Was passiert eigentlich zum Beispiel mit Handelsschiffen, die gerettete Flüchtlinge an Bord haben? Dürfen die in den italienischen Häfen und auf Malta anlegen?
RN:
Das ist genau das Problem: es gibt keine einheitliche Regelung. Es wird ja zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union um jeden Flüchtling einzeln gefeilscht. Es gab dadurch mehrere Fälle, bei denen Handelsschiffe über mehrere Tage vor der italienischen Küste ausharren mussten. Die durften dann irgendwann alle anlegen bzw. die italienische Küstenwache hat dann doch die Leute übernommen. Aber das hat erst mehrere Tage gedauert. Wenn so ein Handelsschiff für einen Tag vor Italien liegt und nicht weiterfahren kann, dann kostet das deutlich mehr als unser Schiff einen Monat lang zu betreiben. Und dieser wirtschaftliche Schaden führt natürlich dazu, dass sich Kapitäne von Handelsschiffen vielleicht sehr genau überlegen, ob sie ordentlich rechts und links von der Brücke aus dem Fenster schauen oder nicht. Es kommt immer wieder vor, dass Handelsschiffe wegschauen. Das habe ich selber schon aus dem Flugzeug beobachtet. Es gab Situationen, wo ich einen Tanker zum Beispiel mehrfach dazu auffordern musste, anzuhalten und das Schlauchboot, das nicht einmal 500 Meter neben diesem Tanker in Seenot geraten war, aufzunehmen bzw. die Rettung einzuleiten. Das war schon letztes Jahr so und jetzt kann man sich so etwas einfacher leisten, da es keine zivilen Augen mehr dort gibt. Vor allem aber werden die Handelsschiffe die Leute auch nicht mehr los. Da entsteht für die ein massiver wirtschaftlicher Schaden. Wenn wie kürzlich ein Schiff mehrere Tage vor Italien ausharren muss bis es die Leute loswird, dann entsteht ein wirtschaftlicher Schaden – davon könnten wir unser Schiff wahrscheinlich ein ganzes Jahr betreiben. Und das führt dazu, dass die Kapitäne massiv unter Druck sind. Dass sie dann auch von den Reedern möglicherweise unter Druck gesetzt werden oder selber sagen: wir wollen den Stress nicht haben – und dann schauen sie lieber weg. Das ist natürlich für uns schwer zu beurteilen, was genau im Hintergrund läuft. Was wir sagen können: bei der letzten Rettung der Aquarius haben die Überlebenden erzählt, dass fünf Schiffe an diesem Boot vorbeigefahren sind, bevor sie dann von der Aquarius gerettet worden sind. Und das ist eine konkrete Auswirkung der europäischen Politik, dass sichere Häfen verweigert werden. Und wenn es da zu Toten kommt, dann gehen die konkret auf das Konto von denen, die diese Politik eingefädelt haben. Und der Erste, der sich aus dem Fenster gelehnt hat, war der Bundeskanzler Kurz.
CK:
Wir haben schon darüber gesprochen: der neue europäische Weg scheint es zu sein, Schiffe mit Flüchtlingen an Bord erst anlegen zu lassen, wenn sich andere europäische Staaten dazu bereit erklären, die Menschen aufzunehmen, was mitunter zu diesen erbärmlichen Irrfahrten auf See führt. Das muss doch für die betroffenen Flüchtlinge wie auch die Crew-Mitglieder extrem belastend sein.
RN:
Das ist extrem belastend, sowohl für die flüchtenden Menschen als auch für die Crew. Deswegen ist im Seerecht auch ganz klar geregelt, dass die Zeit, die Menschen nach einer Rettung auf See verbringen müssen, so gering wie möglich zu halten ist. Und es ist wirklich eine Schande für die Europäische Union, dass der Friedensnobelpreisträger nicht dazu in der Lage ist, hier eine Lösung für ein ganz simples Problem zu finden. Menschen sind in Seenot – die müssen gerettet werden. Die müssen an Land gebracht werden. Wenn der reichste Kontinent der Welt, der immer die Menschenrechte so hoch hält, nicht dazu in der Lage ist, da eine Lösung zu finden, dann ist das wirklich beschämend. Es ist beschämend, dass die Europäische Union mehr dafür tut, Seenotrettung zu verhindern, als in solchen Fällen eine Lösung zu finden. Das ist für mich wirklich nicht nachvollziehbar.
CK:
Sie haben Sea Watch mitbegründet und aufgebaut. Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen?
RN:
Das Problem besteht wie gesagt schon länger. Seit vielen Jahren ertrinken Menschen im Mittelmeer. Allerdings hat es 2014 eine tragische Wendung genommen, weil da die Rettungsmission Mare Nostrum, die vom italienischen Staat ausgeführt worden ist, eingestellt wurde – übrigens auf Druck der Europäischen Union. Damit sind die Todeszahlen massiv angestiegen. Gleichzeitig haben wir hier in Deutschland 25 Jahre Mauerfall gefeiert. Und da haben wir uns gefragt: wie kann es sein, dass man sich auf der einen Seite darüber freut, dass die Mauer gefallen ist – und gleichzeitig baut man eine neue Mauer an den europäischen Außengrenzen? Wie kann es sein, dass man der Mauertoten gedenkt – das ist ja ohne Zweifel tragisch, was da passiert ist – ohne zu erwähnen, dass an den europäischen Grenzen so viele Tausend Mauertote jedes Jahr neu dazu kommen? Und aus dem Grund haben wir gesagt, wir müssen aktiv werden und als Zivilgesellschaft das leisten, was der Staat nicht willens ist zu tun. Deswegen hat Harald Höppner damals die Organisation Sea Watch gegründet. Das habe ich frühzeitig mitbekommen – und das fand ich eine gute Idee, da war ich natürlich dabei. Und seitdem mache ich nicht viel anderes.
CK:
Sie sind ja eigentlich Journalist. Sie sind heute Aktivist. Wann ist für Sie der Entschluss gefallen, das eine nicht mehr zu sein und das andere zu werden?
RN:
Ich weiß nicht, ob man das eine automatisch nicht mehr ist. Es gibt dieses Objektivitäts-Dogma. Dazu hat der geschätzte Kollege Glenn Greenwald gesagt: nicht jeder Journalist, aber jeder gute Journalist ist ein Aktivist. Weil was macht letztendlich guten Journalismus aus? Es heißt, dass ich mich an die Fakten halte. Ich darf sehr wohl eine Meinung dazu haben. Ich muss fakten-basiert diskutieren. Und das vermisse ich eigentlich doch häufiger im Journalismus. Wir haben vorhin über die Vorwürfe, die uns gegenüber gemacht worden sind, gesprochen. Da wäre es sehr gut gewesen, wenn ein paar Journalisten eine etwas aktivistischere Motivation an den Tag gelegt hätten – nicht nur nachgeplappert hätten, was da gesagt worden ist, sondern wirklich mal auf den Grund gegangen wären und recherchiert hätten. Da ist es relativ egal, was für eine Meinung ich dazu habe – ich möchte über Fakten reden.
Zum Beispiel gab es den Vorwurf, dass die NGOs Lichtsignale an die libysche Küste geben würden. Da kann man sich jetzt hinsetzen und sagen: ich bin ein objektiver Journalist. Ich sage: der Staatsanwalt sagt, sie geben Lichtsignale. Dann rede ich auch mit der anderen Seite, mit der NGO – die sagt: wir geben keine Lichtsignale. Damit habe ich zur Aufklärung von diesem Sachverhalt gar nichts beigetragen. Ich war zwar neutral, aber ich habe nichts dazu beigetragen, das aufzuklären. Egal ob ich Aktivist oder Journalist bin, aber ich möchte das aufklären – dann stelle ich sehr schnell fest, dass sich die NGO-Schiffe alle außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer befinden. Und dann gucke ich: was ist eigentlich die Masthöhe von diesen Schiffen? Dann stelle ich fest, dass die Erde keine Scheibe sondern eine Kugel ist. Und dann erkenne ich sehr schnell, dass es für diese NGOs gar nicht möglich ist, Lichtsignale an die libysche Küste zu geben. Das haut einfach geographisch nicht hin. Entweder glaube ich, die Erde ist eine Scheibe oder ich kann diese Theorie von den Lichtsignalen fix widerlegen. Mir ist ein Journalist mit einer aktivistischen Motivation, der den Dingen auf den Grund geht, deutlich lieber als jemand, der nur sagt: ich höre die eine Seite und die andere Seite.
Desmond Tutu hat einmal gesagt: if you choose neutrality in times of oppression you have chosen the side of the oppressor. Also wenn man in Zeiten von Unterdrückung neutral ist, dann stellt man sich auf die Seite des Unterdrückers. Genau das passiert im Moment in dieser Debatte um Migration, die völlig sachfremd geführt wird. Es wird sehr viel Stimmung gemacht. Und ich verstehe nicht, warum man den Quatsch, den die Rechten reden, nachplappern darf ohne dass einem wer sagt: du bist halt ein rechter Aktivist. Wenn man sich gleichzeitig auf die Seite der Menschenrechte, Grundrechte und auf die Seite derer stellt, die die europäischen Grundwerte verteidigen, dann wird man als Aktivist abgestempelt. Das ist für mich schwer nachvollziehbar. Ich stehe da vor einer Entscheidung: ich muss vielleicht meinen Kindern irgendwann erklären, was ich eigentlich gemacht habe, als Europa seine Werte verraten hat. Ich muss vielleicht irgendwann erklären, wo ich gewesen bin als wir Europäer viele Tausend Menschen an unseren Grenzen ertrinken haben lassen. Die Generationen nach uns werden dazu vielleicht Fragen haben und ich will eine Antwort parat haben. Da will ich nicht sagen: ich musste halt neutral sein.
CK:
Wie muss man sich so einen Einsatztag auf hoher See vorstellen? Sie sind ja selber operativ tätig: sie fliegen, sie sind mit an Bord. Können Sie schildern, wie ein schlechter Tag an Bord ausschaut?
RN:
Ein schlechter Tag ist immer dann, wenn Boote in Seenot geraten. Im Gegensatz dazu, dass uns immer vorgeworfen wird, wir würden die Leute herauslocken, sind wir froh, wenn keine Boote unterwegs sind. Wir würden uns wünschen, dass niemand gezwungen ist, auf diesen see-untauglichen Booten in See zu stechen, weil alle anderen Wege versperrt sind, um zu flüchten. Deshalb ist ein guter Tag, wenn niemand in Seenot gerät. Ein schlechter Tag ist, wenn sich Seenotfälle ereignen, weil das in jedem Fall gefährlich ist.
Aus dem Grund versuchen wir diese Seenotfälle frühzeitig zu erkennen. Das heißt, auf unserem Schiff sind wir 24-7 auf Ausguck – in Schichten natürlich, aber der Ausguck ist rund um die Uhr besetzt. Wir schauen per Radar und mit dem Fernglas. Und wir setzen auch unser Aufklärungsflugzeug dafür ein, Seenotfälle frühzeitig zu erkennen. Die meisten Seenotfälle kriegen wir aber von der Rettungsleitstelle – sei es jetzt von der libyschen, was auch schon vorgekommen ist, oder von der italienischen. Dann fahren wird da hin. Wir haben also entweder das Boot selber entdeckt oder es wird uns eine Position gemeldet – dann fahren wir dorthin.
Das allerwichtigste ist erst einmal das nackte Überleben dieser Menschen zu sichern. Dafür ist es wichtig, ihnen Rettungswesten auszuteilen. Das ist im Übrigen etwas, was die sogenannte libysche Küstenwache nicht macht. Ich habe auf den Booten der libyschen Küstenwache noch keine einzige Rettungsweste gesehen. Das liegt daran, dass es nicht darum geht, möglichst Leute aus Seenot zu retten, sondern nach Möglichkeit die Leute nach Libyen zurückzuschaffen. Denn es ist der Europäischen Union völlig egal, ob sie überleben oder ertrinken. Es geht darum, dass man sie hier nicht haben will. Das ist bei uns anders. Bei uns zählt der oberste Grundsatz im Seerecht und das, was auch die Moral gebietet – nämlich den Menschen, die in Seenot sind, das Überleben zu sichern, ihnen also erst einmal eine Rettungsweste zu geben, damit sie nicht ertrinken. Das ist der erste Schritt – dafür setzen wir unsere kleinen Schnellboote ein. Das ist auch mein Job, wenn ich an Bord bin. Ich fahre diese kleinen Rettungsboote. Damit fahren wir an einen Seenotfall heran, verteilen dort Rettungswesten, damit die Leute nicht ertrinken und dann nehmen wir sie in kleineren Fuhren an Bord auf unserem großen Schiff.
Dort werden sie zunächst erstversorgt. Diese Menschen haben in Libyen richtig schlimme Zustände erlebt. Unterernährung ist leider mittlerweile wieder ein Thema. Das heißt: teilweise sind sie unterernährt. Häufig sind sie dehydriert, weil sie schon mehrere Tage auf dem Wasser ausharren mussten. Wir haben ein medizinisches Team an Bord, das schaut, wer entsprechende Unterstützung braucht – teilweise weil es während der Fahrt mit dem Boot zu Verletzungen gekommen ist. Ganz oft haben wir zum Beispiel Verätzungen durch ein Gemisch aus Seewasser und Benzin, was sich in den Booten häufig findet. Diese Menschen müssen dann versorgt werden. Oft kommen aber auch Leute mit unversorgten medizinischen Problemen aus Libyen. Wir haben es zum Beispiel häufig mit Folteropfern zu tun. Unser medizinisches Team sieht noch sehr deutlich die Spuren von dem, was den Leuten in Libyen angetan wurde. Und darum wird sich dann gekümmert. Es geht auch darum, ein Miteinander herzustellen und den Leuten erst einmal zu sagen: willkommen! Viele von ihnen sagen, sie sind vorher lange nicht wie Menschen behandelt worden. Für viele ist es der erste Zeitpunkt seit langem, dass sie wieder wie Menschen behandelt werden. Und so wie die Debatte im Moment in Europa steht, ist es leider oft für sie auf lange Sicht der einzige Moment, wo sie wie Menschen behandelt werden.
CK:
Sind Sie an Ihre persönlichen Grenzen eigentlich auch schon gestoßen?
RN:
Wir stoßen immer wieder an unsere Grenzen. Eigentlich sollten wir nicht dort draußen sein. Eigentlich sollte es nicht nötig sein, dass Zivilist*innen dort auf See fahren müssen, um Menschen aus Seenot zu retten. Das ist ja keine Naturkatastrophe, sondern das ist ein politisches Problem. Das ist ja kein Erdbeben, weswegen die Leute da in Seenot sind, sondern diese Menschen sind in Seenot und sie sterben dort, weil wir ihnen jegliche sichere und legale Flucht verweigern und versperren. Natürlich kommt man da an seine Grenzen. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Situation, als wir versucht haben, ein 16-jähriges Mädchen zu reanimieren. Die hatte gerade aufgehört zu atmen, als wir bei dem Boot angekommen sind. Wir haben alles versucht. Wir haben noch auf dem Schnellboot die Wiederbelebungsmaßnahmen gestartet. Wir haben sie kurzzeitig auch wieder gekriegt – wir hatten ein bisschen Ausschlag auf dem EKG. Aber sie hat dann den Flug ins Krankenhaus nicht überlebt. Das sind die Tage.. was kann man da machen? Wir haben dann die Flagge auf dem Schiff auf Halbmast gesetzt. Das war das einzige, was wir noch tun konnten. Aber so etwas geht einem schon nahe. Da fragt man sich dann schon: was hat dieses Mädchen falsch gemacht? Mit welchem Recht nehmen wir es uns heraus, sie zu zwingen, auf so ein Boot zu gehen, weil sie keine andere Möglichkeit hat, den Bedingungen in dem Land, wo sie herkommt, zu entkommen? Wie kann man das rechtfertigen? Also ich frage mich da wirklich, wie diejenigen, die die Grenzen schließen und die das zu verantworten haben, eigentlich noch ruhig schlafen können? Wenn man bedenkt, dass hier Minderjährige dazu gezwungen werden, ihr Leben zu riskieren und dann häufig auch sterben – das ist für mich nicht nachvollziehbar. Und klar, das bringt uns natürlich auch bei uns auf dem Schiff an unsere persönlichen Grenzen.
CK:
Ruben Neugebauer, ich möchte Ihnen gegen Ende unseres Gesprächs noch eine etwas heikle Frage stellen: was glauben Sie, wäre, wenn in den Booten zum Beispiel Schweden sitzen würden, Franzosen, Deutsche, Amerikaner – gäbe es dann auch diese hässlichen Bilder, von denen Sebastian Kurz einmal als Abschreckung gesprochen hat? Anders gefragt: sind Menschenrechte vielleicht doch nicht unteilbar?
RN:
Da sind wir genau am Kern des Problems angekommen. Ich glaube nämlich nicht, dass dasselbe passieren würde, wenn es weiße Leute, Europäer wären, die auf den Booten sitzen. Wenn ein Surfer abtreibt, dann fahren fünf Schiffe raus und zwei Hubschrauber und ein Flugzeug gehen in die Luft, um diese eine Person wieder an Land zu bringen. Da reitet die komplette Kavallerie los, während es die europäischen Staaten auf dem Mittelmeer fertig bringen, ein Boot über Tage in Seenot zu belassen. Und da ist die Würde des Menschen antastbar geworden. Das ist der allererste Artikel in unserer Verfassung, sowohl in Deutschland als auch in Österreich: die Würde des Menschen ist unantastbar. Auf dem Mittelmeer ist sie antastbar geworden – und zwar durch das Zutun der europäischen Politik, weil ein Unterschied gemacht wird und weil Menschenrechte zur Verhandlungsmasse geworden sind. Und ich sage ganz klar: da muss man sich entscheiden – und zwar zwischen Menschenrechten und Migrationsabwehr. Beides zusammen wird man nicht hinkriegen. Wenn man dazu bereit ist, Menschenrechte für die Migrationsabwehr aufzugeben, dann haben wir ein ernsthaftes Problem, weil dann ist auch unsere Demokratie in Gefahr. Denn dann fängt man nämlich an, einen Unterschied zwischen Menschen mit und ohne europäischen Pass zu machen. Und wenn Sebastian Kurz sagt, man muss diese hässlichen Bilder aushalten, dann sagt er damit nichts anderes als dass das Leben eines Schwarzen Menschen, eines Menschen, der aus Afrika kommt, weniger wert ist als das Leben eines Deutschen. Und von da ist es zum Faschismus nicht mehr weit.
CK:
Und was wäre Ihr Lösungsvorschlag?
RN:
Es gibt ja zahlreiche Möglichkeiten, das zu lösen. Man braucht nur eine versachlichte Debatte. Was wir im Moment haben, ist ein Angstdiskurs, der überhaupt nicht beachtet, wie viele denn eigentlich kommen. Es kommen gar nicht viele. Es sind auch davor Menschen gekommen – und zwar mehr als jetzt im Moment. Da hatten wir diese Debatte nicht. Natürlich sind 2015 sehr viele Menschen gekommen. Das hat zum Beispiel mit dem Krieg in Syrien zu tun. Gleichzeitig ist es aber so, dass im Moment die Zahlen verhältnismäßig ziemlich niedrig sind. Und man braucht nicht denken, dass da alle kommen. Es wird dieses Narrativ gebildet, dass sich ganz Afrika auf den Weg machen würde. Das stimmt schlicht nicht. Ich war zum Beispiel Anfang des Jahres über einen Monat in Ostafrika unterwegs, und ich habe da viele Menschen getroffen, die dort sehr zufrieden sind und die dort bleiben wollen. Das ist ja auch klar – das ist deren Heimat. Wer von uns will denn weg aus der Heimat?
Und es gibt in der Geschichte genügend Beispiele dafür, was passiert, wenn man Migration ermöglicht. Dieselbe hysterische Debatte hatten wir als es um die EU-Osterweiterung ging. Da hieß es: ganz Polen wird kommen und unser Sozialsystem fluten. Dann hat man die EU noch einmal erweitert – da hieß es, ganz Rumänien und Bulgarien wird kommen. Es gibt ein Gefälle in den Sozialstandards zum Beispiel zwischen Rumänien und Österreich. Trotzdem ist nicht ganz Rumänien nach Österreich gekommen, weil die Leute sich da auch zu Hause fühlen. Das heißt: natürlich gibt es partiell Migrationsbewegungen. Die sind völlig normal, die hat es in der Geschichte immer gegeben. Aber man braucht nicht denken, dass ganz Afrika kommt, wenn man Migration ermöglicht. Ein ähnliches Beispiel ist Mikronesien und die USA. Die USA haben irgendwann die Grenzen zu Mikronesien geöffnet. Da dachte man, das ist ein armes Land – die werden dann alle in die USA einreisen. Nur das ist nicht passiert. Natürlich gab es ein Stück weit eine Migrationsbewegung, aber die alle Prognosen deutlich unterschritten.
Überhaupt müssen wir über Migrationsrecht reden. Europa hat ja kein Migrationsrecht und kein Konzept für legale Migration. Deswegen drückt man alle in dieses Asylkonstrukt rein – und das ist eine lose-lose Situation. Da gewinnt keiner etwas. Das heißt: wir brauchen eine Versachlichung der Debatte. Wir müssen weg von diesem Angstdiskurs, der teilweise mit unbegründeten Ängsten und Zahlen herumhantiert. Wir müssen uns das genauer anschauen, wie viele denn tatsächlich kommen wollen. Wo gibt es einen Grund dafür und wie kann man das in Bahnen lenken, die sinnvoll sind? Diese Abschottung, die wir jetzt haben, ist reiner Rechtspopulismus – das hat historisch auch nie funktioniert. Wenn man sich die Beispiele anguckt, wo man historisch versucht hat, etwas mit Zäunen und Mauern zu lösen: die Römer haben beim Limes schon gelernt, dass das nicht hinhaut. Auch die chinesische Mauer hat auf die Dauer nicht funktioniert. Und von der Mauer in Berlin brauchen wir gar nicht anfangen.
Das heißt: es ist dringend notwendig, dass wir von diesem Angstdiskurs wegkommen und ein Konzept für Migration entwickeln. Und dass wir das auch wieder positiv besetzen und die Chancen sehen. Wenn man sich die Demographie in Europa anschaut – selbst die Bertelsmann-Stiftung bringt Studien heraus, dass man Migration braucht. Denn wer wischt mir den Hintern ab, wenn ich alt bin im Altersheim? Was ist mit den ganzen Stellen in der Pflege, die nicht besetzt sind? Letztendlich müssen wir weg davon, Migration immer als Gefahr zu betrachten, sondern wir müssen auch einmal die Chancen sehen. Dann müssen wir da vernünftige Konzepte entwickeln. Und wir müssen aufhören, den Rechtspopulisten – ob es jetzt von der FPÖ, AfD, CSU oder auch Sebastian Kurz kommt – hinterher zu laufen.
CK:
Ruben Neugebauer, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Alles Gute für Ihre Arbeit!
RN:
Sehr gerne und vielen Dank!
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.