Anita Sarkeesian ist Feministin und bastelt Videos, in denen sie Kritik an der mangelnden Repräsentation und sexistischen Darstellung von Frauen* in Medien übt, anfangs mit einem Schwerpunkt auf Videospiele. Ihre Inputs werden für die Bildung an Universitäten verwendet und auch in der Industrie aufgegriffen, um Spiele mit mehr Inklusivität herzustellen. Heute führt Anita Sarkeesian mit ihrer Organisation Feminist Frequency ihre Arbeit fort und produziert Videoserien, in denen rassistische und sexistische Stereotype und Narrative hinterfragt werden. Von Beginn an war Anita Sarkeesian einer koordinierten Kampagne von zumeist männlichen Antifeministen und Hatern ausgesetzt, die sie belästigt und mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen bedroht haben. In einem Redebeitrag bei All About Women am 8.März 2015 macht sich Anita Sarkeesian darüber Gedanken, was diese Erfahrung mit ihr als Mensch macht, warum sich der Hass gerade gegen Frauen* richtet, die ihre Meinung öffentlich aussprechen und warum es keine Schwäche ist, die eigenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen.
Anita Sarkeesian: Was ich nicht sagen konnte
Was ich nicht sagen konnte, ist „Fickt euch“ zu den Tausenden von Männern*, die ihre Frauenfeindlichkeit in ein Spiel verwandelt haben. Ein Spiel, bei dem geschlechtsspezifische Beleidigungen, Todes- und Vergewaltigungsdrohungen als Waffen eingesetzt werden, um zu versuchen, den großen, gemeinen Bösewicht zu Fall zu bringen, der in diesem Fall ich bin. Mein Leben ist kein Spiel. Ich werde seit drei Jahren jeden Tag belästigt und bedroht, ohne dass ein Ende absehbar wäre. Und alles nur, weil ich es gewagt habe, den offensichtlichen Sexismus zu hinterfragen, dem in der Spieleindustrie freier Lauf gelassen wird. Nichts an meiner Erfahrung ist ein Spiel.
Was ich nicht sagen konnte, ist dass ich wütend bin. Wenn mich Menschen, die wissen, was ich jeden Tag durchmache, persönlich treffen, sind sie oft überrascht und sagen Dinge wie „Ich verstehe nicht, warum du nicht viel wütender bist“. Weil ich einfach ich selbst bin. Üblicherweise bin ich lieb und freundlich zu anderen Menschen. Doch ich antworte, dass ich wütend bin. In Wirklichkeit macht es mich rasend. Ich bin wütend, weil wir in einer Gesellschaft leben, wo online Belästigung geduldet, akzeptiert und entschuldigt wird und wo Internet-Dienste und staatliche Behörden keine Verantwortung übernehmen, um der Misshandlung entgegenzuwirken, die Frauen* jeden Tag im Netz zu spüren bekommen. Ich bin wütend, weil von mir erwartet wird, online Belästigung als Preis hinzunehmen, den Frauen* für eine eigene Meinung zu bezahlen hätten.
Was ich nicht sagen konnte, ist irgendetwas Lustiges. Die meisten von meinen Freund*innen würden mich als ein wenig bissig und ziemlich sarkastisch beschreiben. Und in manchen von meinen früheren Videokritiken kannst du dir einen kleinen Eindruck von dieser Facette meiner Persönlichkeit machen. Aber heute mache ich beinahe keine Witze mehr auf Youtube. Obwohl Humor uns zu Menschen machen kann und ich ihn gerne verwende, mache ich es nicht, denn viele Zuschauer*innen interpretieren Humor und Sarkasmus als Ignoranz, ganz besonders wenn die Zuseher*innen männlich sind und es sich bei denjenigen, die Witze reißen, um Frauen* handelt. Du würdest es nicht glauben, wie oft Witze als Beweis dafür genommen werden, dass ich nicht weiß, wovon ich spreche oder dass ich keine echte Gamerin bin, selbst wenn diese Witze auf einem tiefgreifenden Wissen über die Materie aufbauen. Also ist das Ergebnis, dass ich diese mehr humorvolle Seite meiner Persönlichkeit bei meinen aktuellen Videopräsentationen absichtlich weglasse.
Ich fühle mich selten wohl, wenn ich spontan in der Öffentlichkeit spreche. Ich gehe bewusst und vorsichtig mit Interviews um, die ich den Medien gebe. Ich sage die meisten Einladungen für Podcasts und Web-Shows ab. Ich achte genau auf den Sprachgebrauch bei jedem von meinen Tweets, damit ich sicher gehe, dass alles klar ist und nichts falsch ausgelegt werden kann. Im Lauf der letzten paar Jahre bin ich überwachsam geworden. Mein Leben, meine Worte und Handlungen werden unter ein Vergrößerungsglas gestellt. Jeden Tag sehe ich, wie das, was ich sage, von Tausenden Männern*, die darauf versessen sind, mich zu zerstören und zum Schweigen zu bringen, genau untersucht, verdreht und verzerrt wird.
Was ich nicht sagen konnte, ist dass ich ein Mensch bin. Ich komme nicht dazu, in der Öffentlichkeit meine Traurigkeit, Wut, Erschöpfung, Angst oder Depression zum Ausdruck zu bringen. Ich kann nicht aussprechen, dass die Belästigung mir manchmal wirklich nahe geht oder umgekehrt dass sie so normal geworden ist, dass ich manchmal überhaupt nichts spüre. Die Todesdrohungen dringen auf meinen sozialen Kanälen durch und es ist zu einer Routine geworden. Screenshot, an den FBI weiterleiten, blockieren und weitermachen. Ich komme nicht dazu, Gefühle und Ängste auszudrücken, oder wie ermüdend es ist, in meiner physischen und digitalen Umgebung ständig wachsam sein zu müssen, wie ich bestimmte Veranstaltungen meide, weil ich mich nicht sicher fühle oder wie ich im Coffee shop und Restaurant in abgeschiedeneren Räumen sitze, wo mich möglichst wenige Leute bemerken und sehen. Ich zeige nicht, wie es mich peinlich berührt, wenn ich eine Person, die mich im örtlichen Lebensmittelladen erkennt, darum ersuchen muss, bitte nicht weiterzusagen, an welchem Ort wir uns getroffen haben.
Irgendwie haben wir uns austricksen lassen und glauben, dass die Belästiger irgendwie gewonnen hätten, wenn wir menschliche Gefühle zum Ausdruck bringen. Dieser falsche Glaube kommt hauptsächlich daher, dass es Frauen* in unserer Gesellschaft nicht erlaubt wird, Gefühle auszudrücken, ohne dass ihnen zugeschrieben wird, hysterisch, wechselhaft, zickig, höchst emotional oder viel zu empfindlich zu sein. Wenn wir Unsicherheit, Zweifel, Wut oder Traurigkeit zum Ausdruck bringen, so wird dies kontrolliert und oft gegen uns verwendet. Aber indem wir uns den Raum für Gefühle und für das Teilen von Emotionen vorenthalten, schreiben wir nur die Vorstellung fort, dass wir alle allein leiden sollen, dass wir uns alle nur abhärten und uns eine dickere Haut zulegen sollen – was nicht von uns verlangt werden sollte.
Was ich nicht sagen konnte, ist dass ich nicht einmal etwas von alldem sagen möchte, hauptsächlich weil ich immer noch die Angst spüre, dass das Ausdrücken von menschlichen Gefühlen in der Öffentlichkeit mich unsicher erscheinen lässt. Die Wahrheit ist, dass Frauen*, die ein gewisses Maß ihrer Menschlichkeit bewahren, keine Schwäche zeigen. Sie beweisen Mut. Mit all den verschiedenen, schwierigen, ehrlichen Formen, in denen wir auf die Belästigung reagieren, zeigen wir tatsächlich, wie viel Menschlichkeit im Angesicht dieser Grausamkeit und Ungerechtigkeit noch in uns allen steckt. Danke für die Aufmerksamkeit.
unveröffentlicht, 25.05.2018
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