Gestrandet in Kabul

 

Bericht über die erste gemeinsame Charterabschiebung von 29 Menschen aus Österreich und Schweden nach Afghanistan am 28.03.2017.

 

Am Dienstag, den 28.03.2017 fand in der Nacht die erste gemeinsame Charterabschiebung von 29 Menschen aus Österreich und Schweden nach Afghanistan im Rahmen von „Joint Way Forward“ statt.

 

Afghanistan gilt in Europa inzwischen als „sicheres Herkunftsland“. Eine Sichtweise, die scheinbar nun auch von der österreichischen Regierung und den Behörden geteilt wird. Bislang wurden Asylwerber*innen aus Afghanistan in diesem Land geduldet, auch wenn nicht in allen Fällen Asyl gewährt wurde. Diese Praxis scheint sich nun zu verändern, denn in der Nacht von Dienstag, den 28.03.2017 auf Mittwoch gab es erstmals einen Charterflug nach Afghanistan, mit dem Menschen mit negativem Asylbescheid abgeschoben wurden. Bereits in den letzten Wochen wurden Menschen aus Afghanistan mit Linienflügen wie etwa Turkish Airlines abgeschoben. Der Fall des 23-jährigen Eshan Batoori zeigt jedoch, dass nachdrückliches Engagement von Unterstützer*innen wirksam gegen diese Praxis ist, denn seine geplante Abschiebung konnte vorläufig abgewendet werden.

 

Drohende Abschiebung trotz Verfolgung

 

Eshan Batoori hat nach den sechs Jahren seines Aufenthaltes in Österreich bereits seinen Platz gefunden. Denn er gibt mittlerweile selbst anderen Menschen Unterricht in deutscher Sprache, wie Rick R., Aktivist und Rechtsberater bei Asyl in Not, im Interview hervorhebt. Doch der junge Mann aus Afghanistan fühlt sich miserabel. Nicht nur wird seine Befindlichkeit dadurch in Mitleidenschaft gezogen, dass Eshan Batoori Familienangehörige und Freund*innen in einem Land verliert, wo Tag für Tag Krieg herrscht und Anschläge verübt werden. Er ist auch der Gefahr einer Abschiebung in dieses Land ausgesetzt, wo er als Hazari zu einer Gruppe von Menschen gehört, die in Afghanistan verfolgt werden. Hier wird es ihm schwer gemacht, sich in Österreich ein Leben in Frieden und in Freiheit aufzubauen. Eshan Batooris Asylverfahren wurde vor drei Jahren zunächst negativ abgeschlossen. Es wurde ihm aber Schutz geboten, indem die Behörden seinen Aufenthalt in Österreich duldeten. Vergangenen Sonntag wurde Eshan Batoori nun von der Polizei verhaftet und in Schubhaft genommen. Rechtliche Grundlage für diese Verfahrensweise ist ein negativer Asylbescheid aus dem Jahr 2012, der jedoch vom Gericht 2015 aufgehoben und zurück auf den Instanzenweg geschickt wurde. Vergeblich hat Eshan Batoori in den letzten Monaten darauf gewartet, einen frischen Bescheid zu erhalten. Nun befand er sich nach seiner Verhaftung in Schubhaft bei der Roßauer Lände in Wien, obwohl er also noch ein Verfahren um einen Aufenthaltstitel laufen hat. Inzwischen ist Eshan Batoori wieder frei, nachdem sein Fall in den Medien für Wirbel gesorgt hat und sich viele Menschen für seine Freilassung engagiert haben. So fand noch am Abend des 28.3.2017 eine Kundgebung von solidarischen Menschen vor dem Abschiebegefängnis bei der Roßauer Lände statt.

 

Erster Charterflug nach Afghanistan im Rahmen von „Joint Way Forward“

 

Doch auch wenn Eshan Batoori durch Interventionen auf verschiedenen Ebenen für den Moment davor bewahrt wird, abgeschoben zu werden, sind viele andere Menschen nicht davor geschützt, durch eine Abschiebung an ihre Peiniger ausgeliefert zu werden. Rick R. von Asyl in Not befürchtet im Gespräch, dass eine große Anzahl von Personen in der Nacht auf Mittwoch mit dem Charterflug nach Kabul in Afghanistan gebracht werden. Mittlerweile wurde offiziell bestätigt, dass dieser Charterflug stattgefunden hat. Die wenigsten Namen sind den Rechtsberater*innen bekannt. Manche der Betroffenen befanden sich in Schubhaft, andere wurden gar nicht erst dorthin gebracht, sondern sie hielten sich bereits in Polizeigewahrsam auf. Dort können Menschen bis zu 72 Stunden festgehalten werden, was darauf hindeutet, dass die Gefahr ihrer Abschiebung unmittelbar bevorsteht.

 

Ein Sprecher des Innenministeriums weist darauf hin, dass der Schwerpunkt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) auf der sogenannten „freiwilligen Rückkehr“ liege. 597 Menschen aus Afghanistan haben Österreich nach Information des Innenministeriums 2016 „freiwillig“ verlassen. Dies macht nahezu die Hälfte der insgesamt 1.094 im Jahr 2016 aus Österreich nach Afghanistan gebrachten Personen aus. Gleichzeitig erhielten 2016 nur 30% der afghanischen Asylwerber*innen in Österreich eine positive Entscheidung im Rahmen von Asyl, subsidiärem Schutz oder humanitärem Aufenthalt. Das BFA rühmt sich auf seiner Website damit, dass im Jahr 2016 insgesamt um 30% mehr Menschen außer Landes gebracht wurden als im Vorjahr.

 

Nun wurden laut Auskunft des Sprechers des Innenministeriums beim ersten gemeinsamen Frontex Charterflug nach Afghanistan am 29.März 19 afghanische Staatsbürger*innen aus Österreich und zehn Personen aus Schweden an die Behörden in Kabul überstellt. Für das BFA handelte es sich um den ersten gemeinsamen koordinierten Flug nach Afghanistan seit der Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen der EU und Afghanistan („Joint Way Forward“) im Oktober 2016. Und erst zwei Tage vor der Charterabschiebung, am 27.3.2017, fand in Brüssel das zweite Umsetzungstreffen der EU mit Afghanistan statt. Dabei einigte man sich laut Information des Innenministeriums auf ein Bekenntnis zur weiteren Umsetzung und einer intensivierten Kooperation bei laufenden Aktivitäten im Bereich von Abschiebungen. Laut Sprecher des Innenministeriums stehe dabei die Rückkehr von Menschen ohne Aufenthaltsrecht in der EU im Vordergrund, wobei das BFA seinen Fokus demzufolge auf die sogenannte „freiwillige Rückkehr“ lege. Als Schwerpunkte von „Joint Way Forward“ nennt der Sprecher die „Unterstützung bei der Reintegration“ wie finanzielle Hilfen sowie Aufklärungskampagnen. Die österreichische Regierung führt auf der Grundlage des Abkommens Einzelabschiebungen durch. Laut Website des BFA wurde 2016 insgesamt jeden fünften Tag eine Charterabschiebung durchgeführt. Auch in Zukunft wird es gemeinsame Charterabschiebungen auf der Basis von „Joint Way Forward“ nach Afghanistan geben, an denen sich Österreich beteiligt, kündigt der Sprecher des Innenministeriums an.

 

Im Oktober vergangenen Jahres haben sich in Brüssel verschiedene europäische Repräsentant*innen mit dem Präsidenten und mit Regierungsabgesandten der afghanischen Regierung getroffen. In diesem Rahmen drohte man, dem afghanischen Staat Subventionen zu entziehen, während auf der anderen Seite eine Erhöhung anderer Zahlungen versprochen wurde. Als Teil einer Übereinkunft unterzeichnete die afghanische Regierung daraufhin ein Abkommen für die Rücknahme von mindestens 80.000 Personen, die vor der Gewalt in Afghanistan nach Europa geflüchtet waren. Dies obwohl die Lage in Afghanistan bereits jetzt durch die Abschiebungen aus Pakistan und Iran und die 1,5 Millionen Binnengeflüchteten prekär ist. Seit dem Abkommen sind einige Monate vergangen. Doch nun scheint es mit den Abschiebungen ernst zu werden, befürchtet Rick R.

 

Geflüchtete stranden im „sicheren Herkunftsland“

 

Diese gravierende Situation wäre vermeidbar, so Rick R. Denn in Schubhaft und Polizeigewahrsam geraten Menschen, die einen negativen Asylbescheid erhalten und keine Beschwerde einlegen. Oft ist dies eine Folge schlechter Beratung durch den Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ), der dem Innenministerium unterstellt ist. So weist Rick R. darauf hin, dass der VMÖ auf zwei Seiten niederschreibt, wofür eine vertrauenswürdige Beratungsorganisation wie Asyl in Not ganze 20 Seiten benötigt. Dazu kommen abgelaufene Fristen und „Überredungskünste“ durch den VMÖ. In der Folge erhalten Asylwerber*innen, die vom VMÖ vertreten werden, auch häufiger einen negativen Bescheid, so Rick R. Für gewöhnlich stehen die Chancen nicht schlecht, in höherer Instanz vor einem Gericht recht zu bekommen, wenn stichhaltig argumentiert wird. Vom VMÖ vertretene Asylwerber*innen werden jedoch sogar vor Gericht häufig abgewiesen. Andere wiederum erhalten gar nicht erst die Chance einer Beratung, da sie in Räumlichkeiten wie dem Henry Dunant Zentrum beim Flughafen Wien-Schwechat ausharren müssen.

 

Einmal nach Afghanistan abgeschoben, eröffnen sich den Menschen nicht viele Möglichkeiten. Von einem aus Österreich abgeschobenen Jugendlichen in Kabul, mit dem Asyl in Not in Kontakt steht, weiss Rick R., dass die Notunterkünfte für zurückgewiesene Menschen stark überbelegt sind. Denn auch die Regierungen von Pakistan und Iran schieben zahlreiche Personen nach Afghanistan ab. In diesen Lagern werden Menschen von den Taliban angeworben. Perspektiven gibt es für diese Menschen in Kabul und erst recht im unsicheren Umland keine, denn Arbeit ist nicht vorhanden. Die Taliban und Ableger von Daesh verüben immer wieder Anschläge auf die Bevölkerung. Zwar kann dieses Elend gelindert werden, wenn Geld aus Europa an die abgeschobenen Geflüchteten überwiesen wird. Jedoch stellt Rick R. fest, dass Überweisungen etwa mit Western Union riskant sein können, wenn die Taliban davon erfahren. Im „besten“ Fall wird dann den Menschen nur das Geld abgenommen.

 

Stop Deportation

 

Denjenigen Menschen, die mit der Abschiebepraxis nicht einverstanden sind, bleiben die gewohnten Pfade, so Rick R. Solidarische Beziehungen zu den Geflüchteten, Unterstützung auf juristischer Ebene, Versorgung mit Adressen wie die Caritas und Asyl in Not, an die sich Geflüchtete wenden können und Unterstützung bei rassistischer Belästigung und Gewalt. Sollte die österreichische Politik und Verwaltung diesen destruktiven Weg fortsetzen, so bleibt der Zivilgesellschaft politischer Aktivismus auf Demonstrationen und Druckausübung durch Medien. Es geht darum, den Verantwortlichen klar zu machen, dass diese menschenunwürdige staatliche Praxis nicht toleriert und vor allem nicht vergessen wird, betont Rick R. Sollten alle Stricke reissen und Menschen werden nach Afghanistan abgeschoben, so können Geldüberweisungen – trotz aller Risiken – hilfreich sein, damit die Betroffenen wenigstens in eines der Nachbarländer ausweichen können, um der schlimmsten Gewalt zu entfliehen. Um sich einer drohenden Abschiebung zu entziehen, gibt es Wege und Mittel, die schon von vielen in dieser äußersten Notlage angewendet wurden, wobei darüber jeder Mensch selbst entscheiden muss. Nicht zuletzt können sich auch Zeug*innen einer Abschiebung in Linienflügen solidarisch zeigen, indem sie sich von ihren Sitzen erheben und sich weigern mitzufliegen. So hofft Rick R. schließlich auf eine zahlreiche Beteiligung bei der Demonstration beim Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände, der sich etliche Menschen am 28.3.2017 angeschlossen haben.

 

veröffentlicht am 02.04.2017 auf no-racism.net

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